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kann. Hierzu kann alles gerechnet werden, was man falsche Tendenz, Dilettantismus u. s. w. genannt hat. Und doch ist es möglich, daß alle die falschen Schritte zu einem unschäzbaren Guten hinführen eine Ahnung, die sich im Wilhelm Meister immer mehr entfaltet, aufklärt und bestätigt." Und gegen Eckermann äußerte er: „Es gehört dieses Werk zu den incalculabelsten Produktionen, wozu mir fast selbst der Schlüssel fehlt. Man sucht einen Mittelpunkt, und das ist schwer und nicht einmal gut. Ich sollte meinen, ein reiches mannigfaltiges Leben, das unsern Augen vorüber geht, wäre auch an sich etwas ohne ausgesprochene Tendenz, die doch blos für den Begriff ist." Das heißt den Kern der Sache treffen. Indeß der deutsche Geist verlangt nun einmal symbolische Nahrung. „Und so, fährt Goethe fort, will man dergleichen (eine Tendenz) durchaus, so halte man sich an die Worte Friedrichs, die er am Ende an unsern Helden Wilhelm richtet, indem er sagt: Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand. Hieran halte man fich; denn im Grunde scheint das Ganze nichts anderes fagen zu wollen, als daß der Mensch, trotz aller Dummheiten und Verwirrungen, von einer höheren Hand geleitet, doch zum glücklichen Ziele gelange."

Schiller, der nur den zweiten Plan kannte, erklärte sich mit Recht gegen den allzu großen Raum, der dem Schauspielerwesen gegeben sei. „Es kommt mir zuweilen vor, schreibt er an Goethe, als ob Sie demjenigen Theile, der

das Schauspielwesen ausschließend angeht, mehr Raum gegeben hätten, als sich mit der freien und weiten Idee des Ganzen verträgt. Es sieht zuweilen aus, als schrieben Sie für den Schauspieler, da Sie doch nur von dem Schauspieler schreiben wollen. Die Sorgfalt, welche Sie gewiffen kleinen Details in dieser Gattung widmen, und die Aufmerksamkeit auf einzelne kleine Kunstvortheile, die zwar dem Schauspieler und Direktor, aber nicht dem Publikum wichtig find, bringen den falschen Schein eines besondern Zwedes in die Darstellung, und wer einen solchen Zweck auch nicht vermuthet, der möchte Ihnen gar Schuld geben, daß eine Privatvorliebe für diese Gegenstände Ihnen zu mächtig ge= worden sei!" Beim zweiten Plane muß es auch als ein Fehler der Composition bezeichnet werden, daß die Einleitung fünf Bücher füllt, eines episodisch ist und nur zwei der eigentlichen Entwicklung gewidmet sind. Das ist durchaus gegen alles richtige Verhältniß. Und doch sagt Friedrich Schlegel in seiner vortrefflichen Kritik ausdrücklich, die beiden letzten Bücher seien eigentlich das ganze Werk, die andern seien nur Vorbereitungen.

Der Wilhelm Meister verfolgt zwei Aufgaben, die Ver= herrlichung der Schauspielkunst und die Theorie der Erziehung. Die letzten beiden Bücher handeln fast nur von der Erziehung. Sehr weise und tiefe Gedanken werden entwickelt und entschädigen uns für die Gewöhnlichkeit der Erfindung. Sonst aber stehen diese Bücher an Stil, Charakter und Interesse den ersten Abschnitten jämmerlich nach.

Im Ganzen ist Wilhelm Meister in der That ein „incalculables Werk." Meine zuerst etwas kühle Bewunderung hat sich durch wiederholte Lektüre mächtig gesteigert und ebenso find mir auch die Fehler klarer geworden. Die Schönheiten sind immer neu, immer wunderbar, die Fehler drängen sich der Beachtung in immer gleicher Schärfe auf.

Der Roman hebt mit großer dramatischer Lebendigkeit an. Marianne und die alte Barbara stehen vor uns in Umrissen so scharf, wie von Shakespeare's Hand. Die ganze Geschichte ist bewundernswerth, mit Ausnahme freilich der langen und etwas langweiligen Erzählung Wilhelm's über das Puppentheater, eine Erzählung, bei der vermuthlich mancher Leser so gut eingeschlafen ist, wie Marianne. Der Gegensatz zwischen Wilhelm und dem prosaischen Werner ist auch geschickt gezeichnet. Aber die glücklichsten Züge sind die, in denen Wilhelm's Unentschlossenheit und Mangel an Ausdauer hervortritt; sie enthüllen seine eigentliche Natur; denn im ganzen Roman ist Wilhelm nicht der Held, sondern das Geschöpf der Ereignisse. Das ist mit großer Kunst durchgeführt. Göß und Egmont sind Helden; so stürmisch die Zeiten, sie stehen unerschüttert. In ihnen wollte der Dichter edle Charaktere darstellen, und er stellte sie uns dar in ihrer festen, klaren, den Verhältnissen überlegenen Individualität. Im Wilhelm Meister bewegte sich der Dichter nach einer anderen Richtung; er wollte zeigen, wie Menschen, die sich von jedem äußern Einfluß bestimmen lassen, sich ändern und entwickeln. Bei einem Charakter wie Egmont würden die Wandlungen, die Wilhelm durchmacht, un

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möglich sein; das scheint sich so von selbst zu verstehen, daß es uns Wunder nehmen muß, wie Kritiker den schwankenden Charakter Wilhelm's als einen künstlerischen Fehler tadeln können. Man könnte ebensogut die Schwankungen Hamlets tadeln. Wilhelm schwankt nicht nur leicht von einem Ding zum andern, sondern ändert auch seine Meinung über sich selbst fortwährend. Eben so wenig beständig ist er in seinen Empfindungen; von der Liebe zu der leidenschaftlichen Marianne geht er zu einer Neigung für die leichtfertige Philine über, von Philine zu der Gräfin, um diese sogleich wieder gegen die Amazone zu vergessen; schon im Begriff Therese zu heirathen verläßt er sie, sobald sie ihm zugesagt hat, und bewirbt sich um Natalie.

Eine interessante Eigenthümlichkeit des Romans find die reichen Anklänge von Humor, nach denen Goethe Anlage genug zu einem humoristischen Schriftsteller hatte, nur daß fie durch andere Fähigkeiten zurückgedrängt wurde. Wilhelm's unbewußte Pedanterei und sein leidenschaftliches Verlangen, den Schmuck und Schein der Bühne auch in das Leben zu übertragen, der Graf mit seinen Phantastereien, die Erlebnisse der Schauspieler in dem Schlosse, das theatralische Costüm, mit dem Wilhelm sich aufputzt, der ganze Charakter Philine's und Friedrich's sind Beispiele dieser humoristischen Begabung.

Den Inhalt des Romans zu erzählen, hieße dem Dichter Unrecht thun; ich sehe ihn als bekannt voraus, und meine Kritik hat nun leichte Arbeit. Ich brauche nur auf die wunderbare Kunst hinzudeuten, mit der die Charaktere sich

entfalten Wir sehen sie, wir durchschauen sie. Sie werden nie geschildert, sie stellen sich selbst dar. Philine z. B., eins der bezauberndsten und originellsten Geschöpfe der Dichtung, die wir so gut kennen, als hätte sie mit uns selbst kokettirt und uns zum Besten gehabt, wird niemals beschrieben; selbst wie sie aussieht, erfahren wir nicht aus der unmittelbaren Erzählung des Dichters, sondern aus dem Eindruck, den sie auf Andere macht. Daß sie eine feltsame Mischung von Leichtsinn, Edelsinn, Laune, Trot, Zärtlichkeit und Munterfeit ist, ein lebhaftes Mädchen, eine halbe Französin, auf Anstand möglichst wenig Rücksicht nimmt, aber einen wahren Anstand für sich apart hat, der Welt ein Schnippchen schlägt, alle Regeln der Ordnung als langweilig und pedantisch verachtet, durchaus keine idealen Anflüge hat, aber auch den Schein zu heucheln verschmäht, mit allen Männern kokettirt, allen Frauen ein Greuel ist, jeden um den Finger wickelt und doch selbst denen, die ihr Böses gethan, gern gefällig und freundlich ist das alles erzählt uns der Dichter nicht, sondern so lebt sie vor unsern Augen. Sie ist so natürlich, eine so reizende Sünderin, daß wir ihr Alles vergeben. Im Ganzen ist sie die originellste und für die künstlerische Darstellung schwierigste Figur des Romans. Mignon, diese herrliche poetische Gestalt, war, einmal erfunden, leichter zu zeichnen. Alle die andern Frauencharaktere stehen zu Philine im Gegensat, sie heben sich gegenseitig. Die krankhaft sentimentale Aurelie und die schwärmerische Melina haben einen Ernst, an den Philine nicht heranreicht, aber sie haben auch die entsprechenden

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