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Zweiter Abschnitt.

Bettina und Napoleon.

Es ist für Goethe sehr bezeichnend, daß er während der Schreckenstage der Plünderung am meisten besorgt war, seine wissenschaftlichen Sammlungen und Papiere zu retten; alles andere konnte ersetzt werden, dieser Verlust wäre unerseßlich gewesen. Er verlor nichts. Andere waren weniger glücklich; von Herder's Nachlaß wurde vieles vernichtet, Heinrich Meyer verlor alles, selbst seine Zeichnungen. So lächerlich wie betrübend, hat man ihm auch das zum Vorwurf gewendet; sein gutes Glück legt man ihm als kluge selbstsüchtige Berechnung aus; als wenn in solchen Tagen sich Berechnungen anstellen ließen!

Der Herzog, dem man von preußischer Seite selbst zuredete, sich mit dem Sieger abzufinden, legte sein Kommando nieder und kehrte unter lautem Jubel des Volkes nach Weimar zurück. Durch den Beitritt zum Rheinbund mußte er den Frieden erkaufen; Weimar athmete auf. Goethe benußte

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die wieder eingetretene Ruhe, die Farbenlehre und den Faust drucken zu lassen, damit sie in Zukunft vor jeder Gefahr der Zerstörung sicher seien. Auch nahm er den Gedanken an das epische Gedicht „Wilhelm Tell" wieder auf. Ein neues Unglück unterbrach die kaum begonnene friedliche Thätigkeit: am 10. April 1807 starb nach kurzer Krankheit die Herzogin-Mutter Amalia; als in den letzten Zeiten die Stürme von allen Seiten auf sie eindrangen, ihr Land verwüstet, ihr Sohn zuerst in seiner Herrschaft bedroht, dann seiner Unabhängigkeit für lange beraubt ward, ihr Bruder, der Herzog von Braunschweig, starb: da hielt ihr Herz nicht länger, und ihr muthiger Geist verlor gegen den Andrang irdischer Kräfte das Uebergewicht. Goethe feierte ihr Andenken in einem Nachruf, den der Herzog beim Trauergottesdienst in allen Landeskirchen vorLesen ließ.

Gleich darauf, am 23. April, kam Bettina nach Weimar. Wir müssen bei dieser sonderbaren Erscheinung, die in der deutschen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts einen bedeutenden Plaß einnimmt, etwas länger verweilen. Jeder kennt Bettina „das Kind", Bettina Brentano, die Tochter jener Maximiliane Laroche, mit der Goethe in der Wertherzeit in freundlichem Verkehr stand, die Frau Achim von Arnim's, des phantastischen Romantikers, die Verehrerin Goethe's und Beethoven's, eine Zeit lang hoch in Gunst bei Friedrich Wilhelm IV., und Verfasserin jenes wilden, aber feinesweges wahrhaften Buches „Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde." Sie gehört zu jenen Phan

tasten, denen alles erlaubt scheint. Mehr Kobold als Weib, aber nicht ohne Blize von Genialität, die ganzen Bogen voll Unsinn Glanz leihen, entzieht sie sich aller Kritik und spottet jedes Urtheils. Nimmt man's ernst mit ihr, so zucken die Kenner die Achseln; sie ist eine Brentano" - damit ist' alles gesagt: die Brentanos gelten in Deutschland nicht eben für verständig.

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Ich möchte gegen Bettina nicht härter sein als nöthig, aber wenn ich ihrer Phantasterei auch alles Mögliche zu gute halte und ihr für die vielen bezeichnenden Anekdoten über Goethe dankbar bin, die sie aus den Unterhaltungen mit seiner Mutter erhalten hat: die Geschichte ihres Verhältnisses zu Goethe muß ich ernsthaft nehmen, weil daraus ein eben so falscher wie kränkender Vorwurf gegen sein Andenken erwachsen ist. Manche arglose Leser ihres Buches, mögen sie auch von den leidenschaflichen Ausdrücken ihrer Liebe zu Goethe und von ihrem Benehmen gegen ihn halten was sie wollen, fühlen sich durch seine Kälte gegen sie tief verlegt, während wieder andere noch heftiger darüber entrüstet sind, daß er diese tolle Leidenschaft unterhalten, mit Gedichten und Schmeicheleien genährt habe, und noch dazu in der selbstsüchtigen Absicht, aus ihren Briefen Stoff für seine Gedichte zu entnehmen! Beide Ansichten beruhen auf einer vollständigen Verkennung des Sachverhalts. In dem Briefwechsel freilich findet sich für die eine wie für die andere reichlicher Beweis, und gegen den Beweis läßt sich nur eines einwenden; dieses eine aber ist

entscheidend: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde" ist ein Roman des Kindes Bettina.

Wäre die Schuldige nicht eine Frau und nicht eine Brentano, so würde ich einen härteren Ausdruck gebrauchen, denn der Roman tritt nicht etwa als Dichtung auf, welche die Wahrheit umspielt, sondern ganz ernsthaft als ein getreuer Beitrag zu Goethe's Lebensgeschichte. Wie viel daran wahr ist, wie viel übertrieben, wie viel rein erfunden, bin ich nicht in der Lage zu ermitteln; aber Riemer, der alte und vertraute Freund Goethe's, der bei Bettina's Besuch in seinem Hause lebte, hat nachgewiesen, daß der Briefwechsel ein Roman ist, der von der Wirklichkeit Zeit, Ort und Umstände entlehnt", und von andern Seiten habe ich genug erfahren, um sowohl Goethe's Benehmen wie ihr eigenes in einem ganz andern Lichte zu sehen, als sie in ihrem Buche anwendet.

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Ein Mädchen wie eine Elfe, jung, heißblütig, betet den großen Dichter aus der Ferne an, läßt ihn das in ihren Briefen wissen, erweist seiner Mutter Aufmerksamfeiten, die glücklich ist, ihren Sohn so vergöttern zu hören und von ihm sich zu unterhalten. Er seinerseits ist betroffen von ihrem außergewöhnlichen Geiste, ist ihr dankbar für die Freundlichkeit gegen seine Mutter und schreibt ihr so herzlich wie er kann, ohne sich in ein näheres Verhältniß einzulassen. Sie kommt nach Weimar, fällt ihm in die Arme, schläft gleich bei der ersten Unterredung auf seinem Schooße ein und trägt von der Zeit an ihre Verehrung und Eifersucht unverhohlen zur Schau. So nämlich erzählt

fie selbst. Man sieht, die Lage war für Goethe sehr unangenehm: er achtundfunfzig Jahre alt und angebetet von einem Mädchen, welches, obgleich schon eine Frau an Jahren, wie ein Kind aussah, und angebetet zwar mit der halb wahnsinnigen, halb eigensinnigen Schwärmerei einer Brentano was sollte er machen? Er konnte ihre Leidenschaft schnöde mißbrauchen, oder sie hart zurückweisen, oder endlich dazu lächeln und ihr den Kopf streicheln, wie man ein drolliges Kind liebkost. Das waren die Wege, die ihm offen standen. Er wählte den letzteren, bis sie selbst durch das Uebermaß ihrer Schwärmerei ihn zwang, den zweiten einzuschlagen. Zuerst machte ihm die Koketterie und Laune des Kindes Spaß, ihr hell glänzender Verstand fesselte ihn; aber als ihre Verehrung zudringlich und ermüdend wurde, mußte er sie so oft zur Ruhe verweisen, daß ihm endlich allen Ernstes die Geduld ausging. Solch ein Verhältniß konnte unmöglich fortdauern, das war klar. Sie nahm sich Freiheiten wie ein Kind und wollte doch nicht wie ein Kind behandelt sein. Sie ward ihm zur Last. Wie Riemer erzählt, klagte sie gleich bei diesem selben, ersten Besuche gegen ihn über Goethe's Kälte. Diese Kälte, fügt er mit Recht hinzu, war lediglich Geduld; gegen ihr Andrängen konnte sie freilich kaum Stand halten. Der erste Besuch in Weimar dauerte nicht lange; beim zweiten, im Jahre 1811, gab sie ihm durch ihr eigenes Benehmen einen schicklichen Vorwand, ganz mit ihr zu brechen - ein Vorwand, wie ich überzeugt bin, den er mit Freuden ergriff. Was ich darüber von völlig verläßlicher Seite er

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