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schaften sich überlebt haben und der grössere Verband des Staats sich darüber hebt und erstarkt, die alte Blutrache allmählich zurückgedrängt werden und verschwinden. Vom Standpunkt des umfassenderen Staatswesens aus erscheinen die Fehden der Sippen untereinander ungeheuerlich und als unstatthafte Bürgerkriege; man empfindet die Zustände, die mit der Ausrottung ganzer Familien drohen, als unerträglich. So kommt es, dass die zunehmende Kultur die Menschen dahin führt, einen Richter als Vertreter des Staats zu berufen, statt dass die einzelne Sippe ihre Streitigkeiten selbst in die Hand nimmt. Wir sind selten in der Lage diesen Entwickelungsgang so genau zu verfolgen, wie bei den südslavischen Völkern, wo durch die lange Fortdauer der alten Hausgenossenschaften sich bis in unsere Zeit hinein die Blutrache erhielt, und die Übergänge zum modernen Strafverfahren sich deswegen für uns in voller Tageshelle vollzogen. Bei den Serben schritt man, um den Übeln der Blutrache und den aus ihr entstehenden und sich fortzeugenden Missetaten ein Ende zu bereiten, zur Einrichtung von Friedens- oder Sühnegerichten, welche vom Volk aus angesehenen Männern gewählt wurden1). Dabei wurden möglichst viele Richter und möglichst viele Vollzieher des Urteils bestellt, damit die Familie des Verurteilten nicht sagen konnte, dieser oder jener habe durch den Urteilsspruch oder dessen Vollziehung ihren Verwandten getötet, und nicht etwa mit der Blutrache gegen solche einzelne Personen vorginge"). Also, wie in den ältesten Zeiten bei öffentlichen Verbrechen (Landesverrat, Kriegsflucht und dergl.) die ganze Volksversammlung (der Thing) in den germanischen Ländern zu Gericht sass, so wählt man hier möglichst viel Volksgenossen, um das Urteil als Stimme des Volks selbst erscheinen

1) WESNITSCH in Zeitschrift, Bd. 9, S. 64 ff.

2) Montenegro und Montenegriner, Stuttgart und Tübingen 1837, S. 47.

zu lassen und es schon hierdurch über die Lynchjustiz der einzelnen Sippe zu erheben.

Wir können annehmen, dass sich der Übergang zum staatlichen Strafrecht auch anderwärts in ähnlichen Bahnen vollzogen haben wird. Eine Eigentümlichkeit, die wir vielfach beobachten, ist, dass aus den Zeiten der Blutrache her, den Verwandten des Getöteten, an Stelle dieser ihnen endgültig entwundenen eigenen Gerichtsbarkeit, Anklage-Recht und Pflicht überkam. So war es bei den Athenern. Hier erhoben nach einem von DRAKON herrührenden Gesetz, das aber noch zu den Zeiten des DEMOSTHENES galt, die Anklage wegen Mords oder Todschlags ausschliesslich die Verwandten1). Bei der fahrlässigen Tötung musste der Täter auf einem bestimmten Wege für eine gewisse Zeit das Land verlassen, falls er nicht von den Verwandten des Getöteten schon früher die Erlaubnis zur Rückkehr erhielt3).

Auch das alte Rom kannte eine wenigstens von der Sitte gebotene Anklagepflicht der Familie3). Doch wird ihr keine grosse Bedeutung zuzusprechen sein, da uns hier schon früh die Verfolgung durch die staatliche Strafgewalt entgegentritt, und nach dem Bericht des LIVIUS sogar schon im Prozess des HORATIUS die Agnaten gegen die staatliche Gewalt zurücktraten 4).

Bei unsern Altvordern war nach dem Zeugnis des TACITUS 5) also mindestens bei den Stämmen, die mit den Römern

1) HEFFTER, Athenäische Gerichtsverfassung, S. 142 ff. SCHMIDT, die Ethik der alten Griechen, Bd. 2, S. 128, 358; PHILIPPI, der Areopag und die Epheten, 1874, S. 68. LÖFFLER, Schuldformen der Strafrechts, Bd. 1,

S. 53.

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Vergl. auch PLATO, de legibus IX, 8.

2) PHILIPPI a. a. O., S. 136 ff.; LÖFFLER a. a. O., S. 55, 56.

3) BERNHÖFT in Zeitschrift, Bd. 2, S. 295.

4) LIVIUS 1, 26; VOIGT, Leges regiae (Abhandlungen der Kgl. sächsischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 17), S. 622.

5) Germania C. 12.

in Berührung kamen - der Gedanke der Strafgewalt des Staats schon vorgeschritten. Verräter, Kriegsflüchtige und Feiglinge wurden mit schmählicher Todesstrafe von der Volksversammlung belegt hier sehen wir demnach das militärische Vergehen als zuerst vor den Richterstuhl des Staats gezogen, gerade wie wir vorhin beobachteten, von wie gewaltigem Einfluss die Kriegszüge auf die Entwickeluug des staatlichen Königs- und Richtertums, also einer wichtigen Seite des Staatsgedankens überhaupt gewesen sind 1). Aber hiermit nicht genug, wird bei TACITUS schon ein Teil der Busse vom Täter als Friedensgeld an die Gemeinde oder den König entrichtet?); hier tritt also auch schon bei dem sühnbaren Vergehen der Staat (Stamm) als der oberste Friedens- und Gerichtsherr auf. Wie sehr sodann die Stürme der Völkerwanderung und die unablässigen Kriegswirren den Übergang zur staatlichen Strafverfolgung beschleunigten, ist oben bereits berührt worden3). Auch hier ist das Anklagerecht der Verwandten eine Erinnerung an die Gestaltung der Dinge in älterer Zeit1); so wird dem

4) Oben, S. 17.

2) Germania ebenda: Pars multae regi vel civitati, pars ipsi qui vindicatur vel propinquis ejus exsolvitur.

3) Oben, S. 70.

4) So findet sich dieses Recht des Verletzten auf Erhebung der Anklage in der Constitutio pacis Kaiser Friedrichs II. vom 15. August 1235 C. 5. Der Wortlaut der Stelle möge, weil er sehr bezeichnend den Unterschied zwischen Blutrache und staatlicher Rechtspflege hervorhebt, hier wiedergegeben sein: Ad hoc magistratus et jura prodita sunt, ne quis sui doloris vindex sit, quia, ubi juris cessat auctoritas, excedit licentia säviendi. Statuimus igitur, ut nullus, in quacunque re damnum ei vel gravamen fuerit illatum, se ipsum vindicet nisi prius querelam suam coram suo judice propositam secundum jus usque ad finitam sententiam prosequatur. Als der eigentliche Verfolger so stark war die Macht der alten Idee noch immer erschien also weniger der Staat als die Sippe; das Gericht war nur Gehilfe des Klägers bei Erfüllung seiner rechtlich gebilligten Rache (ZÖPFL in seiner Ausgabe des Bamberger Stadtrechts, Heidelberg 1839, S. 127).

nächsten Schwertmagen des Opfers die Vollziehung des Todesurteils überlassen; und so erhält sich noch bis in späte Zeit, in Spanien bis in das 19. Jahrhundert, die Sitte, dass der Herrscher den Mörder nur begnadigen darf, wenn die Verwandten des Getöteten sich damit einverstanden erklären 1). Und noch heute sehen wir die letzten Reste dieses Rechts des Verletzten genau so wie die letzten Überreste der Blutrache in den »auf der Stelle« erwiderten Beleidigungen und Körperverletzungen2) bei eben diesen Delikten in der Privatklage unseres jetzigen Strafprozesses 3).

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In Russland vollzog sich der endgiltige Schritt zur staatlichen Strafverfolgung erst durch das Gerichtsbuch von 1497 und 1550, welche zum ersten Mal ausschliesslich die Kriminalstrafe kennen und völlig mit dem System der Bussen brechen1).

In Polen war es Kasimir, der im 15. Jahrhundert statt der Verbannung des Totschlägers die Kerkerhaft und damit die staatliche Bestrafung einführte; hier, wie vielfach anderwärts, war es das römische Recht, dessen Rezeption den grossen Schritt erleichterte").

Eine interessante Zwischenstufe finden wir in Ostafrika bei den Bukobaleuten; hier darf die Blutrache in den ersten zehn Tagen nach der Tat, solange der erste Zorn vorwaltet, geübt, später muss Klage beim Sultan erhoben werden 6). Man lässt hiernach Schlag auf Schlag zu, solange die Hand vom frischen Schmerz geführt wird; dann aber tritt die Gewalt des Stamms in ihre bereits erworbenen Rechte. Also dieselbe zeitliche Einschränkung, die wir so oft als Mittel zur

S. 76.

1) LÖFFLER, Schuldformen des Strafrechts, Bd. 1, S. 116, 117.
2) Oben, S. 68, Anm. 4.

3) Strafprozessordnung, §§ 414 ff.

4) F. S. TOBIEN, die Blutrache nach altem russischen Recht, Bd. 1,

5) WESNITSCH in Zeitschrift, Bd. 8, S. 452.

6) RICHTER bei KOHLER in Zeitschrift, Bd. 15, S. 62.

Beseitigung alter Rechtsinstitute und auch schon bei der Blutrache kennen gelernt haben.

Bei den südamerikanischen Indianern sehen wir den Übergang in der Weise sich vollziehen, dass der Häuptling die Blutrache an Stelle der Verwandten ausübt und dadurch diese verhindert, einseitig vorzugehen 1). Wir sehen hier den inneren Grund der Wandlung, man möchte sagen, plastisch sich offenbaren; so war es: der Staat, als dessen Vertreter hier der Häuptling auftritt, überkam die Rolle der alten Hausgenossenschaften, und dadurch wurde aus der alten Privatfehde der Strafprozess d. h. die Verfolgung, die der Staat mit allen seinen Mitteln gegen den einzelnen Verbrecher übernahm.

Ist solchergestalt die Entwickelung des Strafprozesses in allgemeinen Zügen gewesen, so können wir annehmen, dass der Civilprozess in ältester Zeit parallele Wege bis zu der Ausgestaltung, die er in Zeiten höherer Kultur erhielt, gegangen ist. Auch hier ist es sicherlich nicht von vornherein der Staat gewesen, der die Schlichtung der Streitigkeiten in die Hand nahm und zu diesem Zweck unparteiische Richter bestellte; sondern es war zunächst wohl jedem oder vielmehr ihm und den Seinen überlassen, wie er das, was er für ihm zustehend hielt, durchsetzen wollte. In kommunistischen Zeiten konnte natürlich von der Verfolgung von Ansprüchen Einzelner keine Rede sein, weil es solche überhaupt noch nicht gab. Den Hausgenossenschaften aber wird, wie die Verfolgung ihrer strafrechtlichen Verletzungen, so auch ihrer privatrechtlichen Streitig. keiten mit anderen Hausgenossenschaften, soweit solche bei den einfachen Verhältnissen überhaupt denkbar war, zunächst selber überlassen gewesen sein. Und so haben wir in den vorhergegangenen Blättern gesehen, wie die Blutrache vielfach

1) MARTIUS, Beiträge zur Ethnographie Amerikas, S. 130.

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