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Die Zeichen der Zeit

bei dem

fünf und zwanzigsten Stiftungsfeste

der

Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft.

Der Apostel Paulus sagt in seiner zu Athen gehaltenen Rede

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nicht allein: Gott hat die Völker über die Oberfläche der Erde sich verbreiten lassen und ihnen die Gränzen ihrer Wohnung ges seßt," sondern er sagt auch zugleich: „Gott habe die bestimmten Zeiten in der Geschichte der Völker so geordnet, daß diese ihn suchen sollten.“ *) Er bezeichnet dadurch die Art, wie sich Gott offenbart in den mannichfachen Abschnitten der Weltgeschichte, daß die Menschen des Waltens seiner Weisheit in der Art, wie er diese herbeigeführt, geordnet und geleitet hat, inne werden, und derselben mit gesammeltem und aufmerksamem Geiste nachforschen sollten. Wenn nun der Apostel Paulus vorausseßt, daß eine solche Anfor derung an alle Menschen ergeht, vermöge ihrer Gott verwandten, wenngleich durch die Sünde getrübten Geistesnatur, vermöge welcher sie der Offenbarung Gottes in dem Entwicklungsgange der Geschichte inne werden sollten, denn er ist nicht ferne von einem Jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind wir,“ so sind gewiß noch weit mehr die Christen von ihrem eigenthümlichen Standpunkte - da ihnen Gott nicht mehr der unbekannte und verborgene ist, den sie erst suchen sollen, sondern der geoffenbarte, den sie in Christo gefunden haben, der Vater, der sie als seine Kinder angenommen und ihnen den Geist der Kindschaft verliehen hat dazu verpflichtet und berufen. So macht es auch unser Herr und

*) Apostelgesch. 17, 26. 27.

Heiland den Pharisäern zum besondern Vorwurf, daß sie, obgleich sie die Zeichen der Natur zu erkennen wüßten, die für ihr höheres Interesse weit bedeutungsvolleren Zeichen der Geschichte ihrer Aufmerksamkeit nicht werth hielten; vgl. Matth. 16, 2. 3. Gottes Segnungen und Strafgerichte würden nicht so unvorbereitet die Menschen treffen und besser von ihnen benußt werden für ihr Heil, wenn sie nicht gewöhnlich den Finger Gottes in den Zeichen der Zeit unbeachtet ließen.

Die fünf und zwanzigjährige Dauer dieses, der Verbreitung des göttlichen Wortes geweihten, Vereins gehört sicher zu den merkwürdigen Zeichen der Zeit, und fordert uns auf, manche Blicke in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu thun.

Sehen wir zurück auf den Zeitpunkt, in welchem vor fünf und zwanzig Jahren dieser Verein in's Leben gerufen wurde, so werden wir uns gedrungen fühlen müssen, in der Art, wie dieses geschah

in dem Zusammenhange dieses Ereignisses mit dem ganzen Entwicklungsgange der Kirche und der Völkergeschichte in der damaligen Zeit den Finger Gottes besonders zu erkennen. Was war vorhergegangen? Eine Zeit des Verfalls der Kirche, des allgemeinen Abfalls von dem göttlichen Worte, der Fäulniß des geistigen Lebens, welches seines, es immer von Neuem zu erfrischen bestimmten, Salzes beraubt worden. Wir dürfen aber bei dieser Erscheinung noch nicht stehen bleiben, als wäre die Zeit der Verachtung des göttlichen Wortes und des Unglaubens so plößlich hereingebrochen, als wäre sie nur die Schuld eines bestimmten Menschenalters. In der Entwicklung des menschlichen Geschlechts hängt jede Stufe mit der vorhergehenden genau zusammen. Gott hat es so geordnet, daß Gutes und Böses von Geschlecht zu Geschlecht fortwürkt, wenngleich das Walten seiner Gnade den Menschen in keinem Geschlechte fehlt. Daher dürfen wir auch, um die Quellen herrschender Gebrechen zu erkennen, nicht bei der Betrachtung der Gegenwart stehen bleiben, sondern wir müssen den Ursachen, welche diese herbeigeführt haben, in den Fäden der Vergangenheit nachforschen. -Wenden wir dieses auf das Gesagte an, so sehen wir, daß auf die evangelische Begeisterung, welche durch die Reformation hervorgerufen worden, ein Erstarren des christlichen Lebens in todtem Buchstaben, in todter Form, wovon der Geist gewichen,

gefolgt war; daß man Holz, Heu und Stoppeln, welches auf dem Grunde, der Christus ist, in immer größerer Menge gebaut worden, dem göttlichen Grunde selbst gleich achtete, oder diesen darüber vergaß; daß man durch Menschensaßungen das göttliche Wort verdunkelt hatte, über solche stritt, als wenn das Wesen der Gottseligkeit und des Reiches Gottes darauf beruhte; nicht eingedenk, daß, wie das Reich Gottes nicht ist Essen und Trinken, also es auch nicht in diesen oder jenen äußerlichen Dingen oder menschlichen Meinungen besteht, sondern in Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste. Unter dem äußerlichen Festhalten an der herges brachten Lehre, die früheren Geschlechtern etwas Lebendiges gewesen, war schon längst das Princip der natürlichen Vernunft das Herrschende geworden, und es wurde dieses nur noch durch die Fesseln eines todten Glaubens gefangen gehalten. Ein solcher Zustand aber konnte nicht lange dauern, die natürliche Vernunft mußte sich von einem ihr aufgedrungenen Joche frei machen und ihre Kräfte gegen das Ueberlieferte hinwenden, welches ihr doch immer etwas Fremdes geblieben war, was zu erfassen und sich anzueignen, der Anschließungspunkt in ihr selbst, das Organ, ihr fehlte; denn — wie der Apostel Paulus sagt: Der natürliche Mensch vernimmt nichts von den Dingen des Geistes Gottes, und er kann sie nicht erkennen, denn sie können nur mit dem verwandten geistlichen Sinne verstanden und in ihrer wahren Bedeutung erkannt werden. 1. Kor. 2, 14. Dieser nun hervorbrechende Kampf zwischen der natürlichen Vernunft und der erstarrten Kirchenlehre der erstorbenen, sich so nennenden,,Gottesgelehrsamkeit“ sollte einerseits dazu dienen, ein Feuer in der Kirche zu entzünden, wodurch Holz, Heu und Stoppeln, als das nicht Feuerfeste, von dem einen unwandelbaren, feuerfesten Grunde, der Christus ist, gesondert würde; von der andern Seite aber auch dazu, daß die Menschen sich ihrer Entfremdung von dem Göttlichen, statt dessen sie nur die todte Form festgehalten hatten, bewußt würden, und daß die natürliche Vernunft ihrer Unzulänglichkeit mit aller ihrer Bildung dem "Menschen das zu verleihen, was den Hunger und Durst des Gott verwandten, nach Gott sich sehnenden Geistes befriedigen könnte inne würde, und mit freier Unterwerfung sich genöthigt sähe, unter das sanfte Joch einer vom Himmel stammenden, alle menschlichen

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Erkenntnisse durch ein himmlisches Licht verklärenden Weisheit zurückzukehren.

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Damit dieses Ziel erreicht würde, dazu würkte die Leitung Gottes in der Entwicklung der mannichfachen Richtungen des Wahrheit suchenden Geistes und in den äußerlichen Ereignissen der Völker- geschichte. Mannichfache Fäden mußten hier in einem Punkte zus sammentreffen. Wenn das Licht in uns, seinem Urquell zugewandt und mit demselben verbunden, dem Leben vorleuchtet, so ist das ganze Leben des Lichtes voll wie der Herr in jener Vergleichung zwischen dem, was das Auge als das Licht des Leibes und dem, was das innere Licht des Geistes ist, es bezeichnet hat - und der Mensch geht sicher seinen Weg. Aber wie groß ist die Finsterniß, wenn das Licht in uns verfinstert worden! Die Folgen davon müssen sich dann auch in dem ganzen Leben zu erkennen geben. Nichts kann für die Dauer gedeihen, weil es dem Geiste an demjenigen gebricht, was seines Lebens Leben ist, und was ihm allein Licht und Kraft zu Allem mittheilen kann. So hatten sich denn auch die Folgen jener überhand nehmenden weltlichen Richtung in der Geschichte unsers Volkes vielfach zu erkennen gegeben. Es erfolgte jene Zeit schmachvoller Knechtschaft. Derjenige, welcher das herrschend gewordene Princip des Lebens, der Zeit in dessen Entfremdung von Gott den weltlichen, in seinem Uebermuthe alle höheren Interessen unterdrückenden, durch seine Klugheit Alles berechnen wollenden, nichts anerkennenden, was sich nicht so berechnen ließ, alle Begeisterung verleugnenden Verstand am consequentesten in seinem Handeln darstellte, konnte, als der Repräsentant des die Zeit beherrschenden Geistes, alle Kräfte sich dienstbar machen und ein Weltreich als flüchtige Erscheinung gründen, welches mit dem Bau, der unter dem Bilde des Senfkorns dargestellt wird, seinem Entwicklungsgange und Wesen nach am meisten in Widerspruch stand. Gott hatte ihm das Ziel seines Uebermuthes gesezt und ihn dazu gebraucht, die Völker zum Bewußtseyn ihrer Entfremdung von dem, was ihren Vätern die Quelle des wahren Lebens war, hinzuführen und die Sehnsucht darnady wieder zu erwecken. Die Noth mußte ihren Gipfel erreichen, als Gott dem, ihn wieder zu suchen, erweckten Geschlechte in seinen Strafgerichten und Segnungen als den alten Gott der Väter sich

offenbarte. Der Finger Gottes, der in Gericht und Hülfe sich darstellt, konnte nicht verkannt werden, der neue Schwung der Geister, welcher von Gott angeregt worden und in vereinigter Kraft Großes vollbracht hatte, mußte seinem Urquell zueilen. In diese Epoche fällt die Stiftung unsrer Gesellschaft, und so ist diese im Zusam menhange mit den großen Ereignissen der Weltgeschichte als eines der merkwürdigen Zeichen der Zeit zu erkennen.

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Also erstlich ein Zeichen der durch das Zusammenwürken jener Ursachen wieder hervorgerufenen Demü thigung der natürlichen Vernunft unter das Ansehn des göttlichen Wortes. Diejenigen, welche in allen Ländern sich zu dem Zwecke der Verbreitung dieses göttlichen Wortes mit einander vereinigten, Menschen aus allen Ständen und von allen Bildungsstufen, bezeugten eben dadurch die Wahrheit, daß dieses das höchste Gut der Menschheit ist; dasjenige, woher der Mensch allein, was ihm für Zeit und Ewigkeit zu wissen nothwendig ist, ableiten kann; dasjenige, von dessen treuer Beachtung die Gesundheit des menschlichen Lebens abhängt. Es war die Vereinigung zur Stiftung dieses Vereins ein Akt der Lossagung von der vermeinten Selbstgenugsamkeit der natürlichen Vernunft, welche das Princip der vorangegangenen Zeit gewesen war. In dieser Hinsicht wird dadurch die Gränze einer alten und einer neuen Zeit bezeichnet, der Zeit des Unglaubens und der neuen Zeit, die verjüngt aus dem Glauben hervorgehen soll.

Zweitens ist die Stiftung dieses Vereins ein merkwürdiges Zeichen der Zeit, insofern Christen von ver, schiedenen Bekenntnissen, von verschiedenen Auffassungsformen der christlichen Währheit, von verschiedenen Verfassungsformen der Kirche sich mit einander vereinigen zu dem einen größten Zwecke, dem sich alles Andere unterordnen soll: das göttliche Wort, das ihnen Allen das Höchste ist, zu verbreiten und zur Herrschaft zu bringen. Dadurch sprechen sie thatsächlich die Ueberzeugung aus: Indem wir uns zu Christo, als unserm Herrn und Meister bekennen, sein Wort allein zur Richtschnur unsers Lebens zu machen. entschlossen sind, erkennen wir uns dadurch Alle als Brüder im Verhältniß zu einander an, als Mitarbeiter an demselben großen

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