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fremde Impfstoff der Dichternatur Göthe's nicht schädlich; er drang nicht tiefer in sein Wesen, ja er wirkte bei ihm beinahe wie eine Vaccination, die ihn jest gegen den Einfluß des steifen, philiströsen Deutschfranzosenthums, dessen Reste er in Leipzig vorfand, um so sicherer verwahrte. Gottsched, den er besuchte, hatte für ihn blos ein komisches Interesse; als nun bald auch die Hamburgische Dramaturgie in seinen Gesichtskreis trat, schloß er mit seinen Franzosen_kurzweg ab, um in Straßburg, wo wir ihn jezt finden, die neue Laufbahn der Dichtung mit völlig eigenen Gesichtspunkten anzutreten.

Kaum war er dort angekommen, erzählt Göthe in,,Dichtung und Wahrheit", so bestieg er eiligst den Münster, um nicht den schönen Augenblick einer hohen und heiteren Sonne zu versäumen, welche ihm das weite, reiche Land ringsumher auf einmal offenbaren sollte. Da sah er das schöne Elsaß ausgebreitet zu seinen Füßen - und segnete das Schicksal, das ihm für einige Zeit einen so freundlichen Wohnort bestimmt. „Ein solcher frischer Anblick in ein neues Land" so sagt er in der Erinnerung dieses Moments -- „hat noch das Eigene, Ahnungsvolle, daß das Ganze wie eine unbeschriebene Tafel vor uns liegt. Noch sind keine Leiden und Freuden, die sich auf uns beziehen, darauf verzeichnet; diese heitere, bunte, belebte Fläche ist noch stumm für uns, das Auge haftet nur an den Gegenständen, insofern sie an und für sich bedeutend sind, und noch haben weder Neigung noch Leidenschaft, dieje oder jene Stelle besonders hervorzuheben; aber

eine Ahnung dessen, was kommen wird, beunruhigt schon das junge Herz, und ein unbefriedigtes Bedürfniß fordert im Stillen dasjenige, was kommen soll und mag, und welches auf alle Fälle, es sei nun Wohl oder Weh, unmerklich den Charakter der Gegend, in der wir uns befinden, annehmen wird." Ja wohl! bedeutungsvolle Ahnungen mochte dieser Blick in's Elsaßische Land in Göthe's Bruft erwecken! Es war ja dies ein Ausblick in seine nächsten, drangvoll strebenden Jugendfahre, wo der Dichter in eigenster Fülle in ihm erwachen sollte! Auf jene unbeschriebene Tafel sollten bald die ersten, unvergänglichen Schriftzüge einer neuen deutschen Poesie hingezeichnet werden und dort dort schlängelte sich ja durch heitere Auen der Weg nach Sesenheim hin, dort lag, freundlich umfriedet, das idyllische Pfarrhaus, wo Göthe die erste Muse seiner Lyrik, das anmuthige Naturkind Friederike fand. Da war es auch, wo der echte Naturton des Liedes in seinem Gemüth aufthaute, jener Lyrik, die so wie der Vogel singt, der auf den Zweigen wohnet. Nicht anders war es! Von der Höhe des Straßburger Münsters blickte Göthe in das neuentdeckte Land deutschen Poesie hinab — und so wie der Münster selbst mit allen seinen Strebepfeilern und Fialen zu ihm sprach so wie ihm an seinen künstlerisch bewältigten, kühn durchbrochenen Massen das Geheimniß deutscher Art und Kunst aufging so stiegen schon damals in seiner Seele ähnliche hohe Denkmale zum Ruhme des deutschen Geistes dämmernd empor! Vorläufig durfte es ihm wohl vergönnt sein, an dem

zierlichen Laub- und Maßwerk der Lyrik leicht hin zu arbeiten, ehe er in seiner Tragödie "Faust", deren Stoff schon in der nächsten Zeit an sein Gemüth herantrat, einen neuen Dom in der deutschen Poesie aufführte, reich, hochstrebend, ahnungsvoll, von bunten Lichtern durchkreuzt, und auch zu grandios für einen völligen Ausbau, so wie irgend einer der großen deutschen Münster.

Wie fruchtbar waren für Göthe die zwei Jahre seines Straßburger Aufenthaltes für die ganze Folgezeit seines Dichtens und Strebens! Da gerade, als sein Gemüth sich weit und offen allen Eindrücken aufschloß, da trat ein Führer an ihn heran, der seine Ahnungen zu hellen Begriffen befestigte und ihm die rauschenden Brunnenquellen echter, ursprünglicher Dichtung zeigte - es war Herder, dessen großer Einfluß auf Göthe in jeder Bildungsepoche allbekannt ist. Ein kühner Sprung und er war für immer aus dem künstlichen Irrgarten der Modedichtung in's Freie gelangt, auf die heitere Au, wo die Blumen des Volksliedes ungepflegt um ihn blühten, die Sonne Homer's vom klaren Himmel ihm leuchtete, und die Schauer des Abendwindes ihm Offian's Klagen träumerisch zuwebten. Nun war auch er ernstlich darauf bedacht, in der Poesie die ursprüngliche, deutsche Art wieder hervorzurufen -- nicht wie Klopstock in dem Schattenspiel der Bardiete, sondern in lebendigen markigen Gestalten. Als er einmal in Leipzig der Aufführung des „Hermann“ von Elias Schlegel beigewohnt, die sehr trocken ablief, achtete er wohl darin die patrio

tische Tendenz, dachte aber schon damals daran, daß man sie in näher stehenden Persönlichkeiten verkörpern solle, in die man sich hineinfinden, mit denen man mitempfinden könne; dies war der Weg, auf dem er einige Zeit später zum „Göz von Berlichingen" gelangte, um dessen Selbstbiographie frischweg zu dramatisiren. Er war dabei gegen die teutonischen Dichter im wesent lichen Vortheil: wenn diese das Bild urältester deutscher Vorzeit als reines Phantasieproduct sich zusammenträumen mußten, so brauchte Göthe nur die verblaßten Farben der geschichtlichen Ueberlieferung poetisch aufzufrischen, um ein dramatisches Gemälde voll lebendiger Kraft und Wirkung hinzustellen.

Schon frühzeitig hatte die Lebensbeschreibung Gottfried's von Berlichingen Göthe'n im Innersten ergriffen. Die Gestalt eines derben, aber wohlmeinenden Selbsthelfers in trüber, anarchischer Zeit erregte seinen tiefsten Antheil; eines Mannes, der mit seinem persönlichen Einschreiten, mit seiner starken individuellen Ueberzeugung an die Stelle des Geseges und der ausübenden Gewalt zu treten sich entschließt, aber dann in Verzweiflung ist, wenn er dem anerkannten, verehrten Oberhaupt zweideutig, ja abtrünnig erscheint, und durch seine paradore Auffassung der Loyalität zulegt wirklich in schlimme, ihn arg compromittirende Conflicte geräth. Das war so ganz ein Held im Sinne der jugendlich aufstrebenden Zeit: dieser wilde Kriegsmann, der wie Lewes in seinem Buche über Göthe sagt, allein

mit seiner Faust gegen die fortschreitenden Mächte der neuen Ordnung sich stemmt, einen verzweifelten Kampf gegen das Geseg führt und den Geist ritterlicher Fehdezu verewigen strebt! Arbeitete doch eine ähnliche, geistige Fehdeluft auch in den Adern des jungen Geschlechts, ein ähnlicher Groll gegen Alles, was die freie Individualität beschränkt, gegen die einzwängenden Formen der Gesellschaft und der Staatsmaschine, die den Geist nicht tiefer Athem holen ließen, jede selbstständige Regung ängstlich niederhielten! Mußte doch jest, gleich dem alten Göz, auch das Genie Urfehd schwören, nicht aus seinem Bann herauszugehen, und wenn es einmal die Sagungen der Welt verlegt hatte, erhielt es gewiß kein ritterlich Gefängniß. Bei all' dem hat aber der „Gög“ von Göthe nichts Aufstachelndes, Erregendes, wie später die Räuber;" frog seines nationalen Gehaltes ist die Beleuchtung des Stückes eine gleichmäßig ruhige, ohne die starken, grellen Schlaglichter der Tendenz. Das Motto aus dem Usong, das dem ersten Entwurf vorgesezt ist, klingt wohl bitter genug: „Das Unglück ist geschehen, das Herz des Volkes ist in den Koth getreten und keiner edeln Begierde mehr fähig!" Aber es soll fein revolutionaires Losungswort sein. Mit einem gleichsam epischen Interesse ruht der Dichter auf dem Bilde der vergangenen Zeit, die er als vergangen schildert; er dramatisirt den Stoff mit der Ruhe des Erzählers oder des Malers selbst der Bauernfrieg, obgleich im ersten Entwurf ausführlicher behandelt, tritt als bloße Thatsache an die Seite der anderen, ohne allen Bezug auf moderne Freiheitsideen, Derselbe

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