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sich überzeugt hat, daß er sich geirrt, dann schüttelt er seufzend das Haupt und beugt sich wieder über die alten dicken Rechnungsbücher. Und - aber Amélie, Kind

Laß mich! Laß mich! Ich habe nichts von dem, was Du gesagt hast, gehört, außer das Eine, daß Du fort willst. Ach, Silvi, Silvi, wie kannst Du mir das anthun? — Und jest, wo die Saison eben anfängt, wo ich gar nicht ohne Dich leben kann, Du mein Trost, meine Stüße und mein Stab in allen gesellschaftlichen Fährlichkeiten! Und Du bist ja erst diesen Sommer sechs Wochen lang bei dem Vater gewesen, und ich lasse Dich nicht weg, oder ich gehe mit Dir! O Silvi, Du darfst nicht fort!

Und Amélie legte beide Arme um der Freundin schlanken Leib und küßte sie leidenschaftlich unter Lachen und Weinen.

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Vielleicht hätte ich gar nie hier sein sollen! erwiederte Silvia. Nein, Kleine, Du mußt mich nicht so entsegt ansehen und Dir die hübschen Augen roth weinen, sonst sage ich gar kein Wort mehr. Ich meine, ich hätte die Sphäre nie verlassen sollen, in der ich geboren bin. Ich hätte dann nie gewußt, was es heißt, Ansprüche an das Leben machen, Ansprüche, zu denen man nicht berechtigt ist. Ich bin zu einer Höhe emporgestiegen, auf die ich nicht gehöre, von der ich über kurz oder lang herunter muß und also nicht früh genug heruntersteigen kann.

Zu einer Höhe, auf die Du nicht gehörst? Du nicht gehörst! sagte Amélie, und ihre großen braunen Augen drückten die aufrichtigste Verwunderung aus. Wer in aller Welt gehört denn dahin, wenn Du es nicht thust? Du, die, wohin sie kommt, als die Erste anerkannt wird, der Alle willig huldigen, Männer wie Frauen, Jung und Alt? Du scherzest, Silvia, und Du scherzest grausam. Was schreibt Dein Vater? Ist er nicht wohl? Warum will er Dich auf einmal?

Mein Bater will mich nicht, wenigstens schreibt er nichts darüber, sagte Silvia; aber durch seinen Brief zieht, wie

ferner Glockenton, ein leises Klagen, das in meinem Herzen ein Echo findet. Er ist nicht glücklich, der Vater und —

Und Du bist es auch nicht! Ach, Silvi! Das ist ja schon lange mein stiller Schmerz gewesen. Du bist nicht glücklich, und wir, wir vermögen es nicht, Dich glücklich zu machen.

Amélie legte ihre Stirn auf Silvia's Kniee; Silvia streichelte das dunkle, weiche Haar.

Ich bin nicht glücklich, sagte sie leise; wie könnte ich es sein? Du hast von den Huldigungen gesprochen, die man mir von allen Seiten gewähre. Nun ja! Man rühmt meine Stimme, meinen Vortrag; man ist erstaunt, daß ich ein paar fremde Sprachen nothdürftig sprechen kann; man amüsirt fich über meine Lebhaftigkeit und nennt mich ein geistreiches Mädchen. Rechne von diesen Huldigungen einfach ab, was erlogen ist, und dann, was auf den Unverstand und die Einsichtslosigkeit der Leute kommt, und sage mir, was noch bleibt? Nimm mich aus diesen Räumen heraus, bringe mich in einen Concertsaal, auf die Bühne -es fragt sich sehr, ob ich mir auch nur mein ehrlich Brod mit allen meinen hochgepriesenen Talenten verdienen könnte. Und wäre das auch wirklich der Fall dahin geht mein Ehrgeiz nicht. Ich möchte nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten

ich möchte in der wirklichen Welt eine Rolle spielen, und nicht blos eine Rolle spielen, sondern etwas sein — und was kann unsereine da sein! Direct einzugreifen, verbietet uns Gesez und Sitte. Wir können es nur indirect durch die Männer; und großer Gott, was für Männer find das, die wir da um uns sehen? die wir überall in Gesellschaften finden? Das bischen Wissen, das sie vor uns voraushaben, hat sie nicht innerlich stärker, hat sie nur schwerfälliger ge= macht; sie mäkeln an Allem herum, zucken die Achseln über Alles, wiffen Alles beffer, aber kein Einziger hat den Muth der Initiative, fein Einziger die Leidenschaft eines großen Gedankens. Ich kenne sie, diese mittelmäßigen Acteurs, kenne alle ihre Rollen, alle ihre Stichwörter. Ich mag sie nicht

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noch einmal sehen, und deshalb will ich fort, ehe der Vorhang wieder aufgezogen wird. Siehst Du, Amélie, das war's, was mir durch den Kopf ging, als ich hier, mit des Vaters Brief in der Hand, in dem stillen Zimmer, unter den stillen Möbeln saß und mir die bekannten Räume nach und nach mit den bekannten Menschen füllte. Ich erinnere mich der Zeit, wo mir dies Spiel der Phantasie innigstes Vergnügen gewährte; Ihr wundertet Euch immer, daß ich stets die Erste war! Ach, wie reizend war es, dies Grübeln über die Charaktere, die Verhältnisse, die Beziehungen der Menschen, die man zu sehen erwartete, und das Beobachten eben dieser Menschen, wie sie nun Einer nach dem Andern in's Zimmer traten! Das ist vorbei; ich habe mich zu früh auf's Beobachten gelegt und habe zu viel gesehen, und jezt bin ich blasirt; ich sehne mich, zu vergessen, was ich gesehen habe; sehne mich, mich selbst zu vergessen. Ich bin nicht mehr gut; ich habe keine reine Empfindung mehr in meinem Herzen. Während ich jezt sprach und Deine sanften Augen so ängstlich auf mich gerichtet waren, hörte ich mich sprechen und freute mich, daß ich so gut, so fließend sprach. Nicht wahr, das ist schlecht? Ich bin eine Kokette! Ich höre, daß man es vielfach von mir behauptet; glaube mir, ich bin, was die Leute sagen!

Du bist meine Silvi, meine einzig geliebte Silvi, rief Amélie, mein geliebtes, angebetetes Mädchen, mein Ideal! Und ich will nicht hören, daß Du so schlecht von Dir sprichst. Ach Silvi, Silvi, wüßte ich doch nur Einen, den Du lieben könntest, der Deiner würdig wäre! Ich bitte den Himmel so oft darum, daß er mir das Glück gewährt, Dich einmal glücklich zu sehen.

Du bist es?

Ja, ich bin's und würde es ganz sein, wenn Du weißt, warum ich nicht ganz glücklich bin. Aber das wird fich Alles finden, ich weiß nicht wie und wann? Aber es wird sich finden. Ach, er war heute so froh. Er ist so stolz auf Leo, wie ich es auf Dich bin, und er war dem

Vater so dankbar, der darauf bestand, daß er ihn heute Abend mitbringen müsse. Hast Du denn gar nicht daran gedacht, Silvia? Freust Du Dich gar nicht, ihn wiederzusehen?

Freuen? erwiederte Silvia, weshalb sollte ich mich freuen? Ich habe den Leo nie gern gehabt, im Gegentheil, er war ein hochmüthiger, unliebenswürdiger Knabe, und, wenn ich mich recht erinnere, haßte ich ihn mehr, als ich ihn liebte.

Ich hatte immer einen heillosen Respect vor ihm, sagte Amélie; das ist aber auch wirklich fast das Einzige, deffen ich mich erinnere, und dann, daß er dunkle Augen und einen düstern Blick hatte. Komm' mir heute Abend nur zu Hilfe, wenn ich mich mit ihm unterhalten muß. Nicht wahr, liebste, beste Silvi, Du verläßt Deine kleine Amélie nicht?

Silvia hatte keine Zeit zu antworten, denn man hörte nebenan die Thür gehen, die auf den Vorsaal führte, dann das Rauschen eines seidenen Gewandes, und alsbald erschien die Gestalt eines jungen, sehr brünetten Mädchens mit leb= haften Augen und lebhaften Zügen und Geberden, das eiligen Schrittes und mit ausgestreckten Händen auf die beiden jungen Damen am Kamin zueilte.

So allein,

Ah, mon Dieu! rief die junge Dame. Mesdames, und auch nicht eine Dame zur Begleitung? Das wundert mich. Guten Abend, wie geht's? Ich komme früh und toute seule! Ich konnte den Papa wie gewöhnlich nicht persuadiren, mitzugehen; und was Alfred betrifft, nicht in dem Saal, nicht auf dem Flur fand ich von Alfred eine Spur. Da bin ich denn auf den Flügeln der Sehnsucht vorausgeeilt.

Fährt es sich gut in dem neuen Wagen? fragte Silvia. Sehr gut, excellent aber, Sie Spötterin, Sie wollen mir nur die Flügel der Sehnsucht stugen. Ich weiß, Sie lieben meine allegorische Redeweise nicht. Qu'importe! Lassen Sie die Flügel und glauben Sie an die Sehnsucht. Ach, was das reizend ist, daß ich die Erste bin! So ganz

unter uns Mädchen! Da können wir noch ordentlich ein Stück plaudern. Werden heute viel Leute kommen? wird es sehr amüsant werden?

Emma von Sonnenstein ließ sich in einen der niedrigen Fauteuils sinken, strich mit der kleinen Hand das bauschige Kleid glatt und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, in demselben Tone fort:

Aber das muß ich sagen, Ihr seid die geheimnißvollsten Zwei, die ich kenne; die wahren Sphinre, wahrhaftig. Was haben wir denn verbrochen? sagte Amélie und lachte.

Du nicht so viel, rief Emma, denn. Dich geht er ja eigentlich nichts an, obgleich er mir sagte, daß Ihr früher viel zusammen gewesen seid. Aber daß Silvia nie von ihrem Better gesprochen hat, das finde ich jetzt, nachdem ich ihn gesehen habe, erstaunlich.

Du hast ihn gesehen? fragte Amélie mit offener Neugier.

Du fragst ja, als ob Du ihn nicht gesehen hättest?
Nein, er ist noch nicht bei uns gewesen; aber -

Ist noch nicht bei Euch gewesen? Aber das ist ja noch viel erstaunlicher! rief Emma und hob die beiden Hände in höchster Verwunderung.

So komme doch nur endlich aus Deinem Erstaunen heraus und erzähle uns, sagte Amélie, indem sie Silvia mit den Augen winkte. Wir sprachen noch eben von ihm und überlegten, ob wir ihn wohl einladen könnten, auch wenn er uns keinen Besuch machte. Er soll ja so scheu sein ein wahrer Menschenfeind, sagt Walter. Und bei Euch ist er schon gewesen? Gleich am ersten Tage?

Gleich am ersten Tage, erwiederte Emma, indem sie den Kopf zurücklehnte und schmachtend nach der Decke schaute. Nun, Kinder, eifersüchtig braucht Ihr deshalb nicht auf mich zu sein, denn eigentlich galt der Besuch nicht mir, sondern dem Papa, obgleich er sich beinahe eine halbe Stunde mit mir unterhalten hat. Er hatte Empfehlungen an den Papa

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