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Aber nicht um etwas, was hier und da in Erscheinung tritt, sondern um etwas allgemein Menschliches handelt es sich. So heisst es auch von dem Indianerstamm der Koluschen oder Thlinkiten im nordwestlichen Nordamerika, dass die Achtung der Kinder gegen die Eltern heilige Pflicht ist 1). Und Gottlob liessen sich die Beispiele sehr vermehren.

Möge es mir gestattet sein, hier einen Bericht einzuschalten, der unbedingt wahrheitsgetreu ist, weil er von einem gründlichen Forscher indianischer Sitten herrührt, der noch die Familie gekannt hat, um die es sich hier handelt. Diese Probe rührender Liebe und Aufopferungsfähigkeit mag zeigen, wie innig auch auf verhältnismässig primitiver Stufe das Band zwischen Eltern und Kindern sich gestalten kann. SCHOOLCRAFT2) erzählt Folgendes: Als ein Vater auf der Jagd war, wurde sein Sohn von einem feindlichen Stamm gefangen genommen. »Bei der Rückkehr hörte er die herzzerreissende Nachricht und wissend, dass seines Sohnes Schicksal der Marterpfahl sein würde, verfolgte er die heimkehrenden Feinde ganz allein. Ihnen nachspürend traf er sie, den Totemstamm der Füchse, in einem ihrer grössten Dörfer gerade bei dem Werk, seinen Sohn mit Feuer zu verbrennen. Kühn schritt er in die Mitte seiner Feinde und bot ihnen an, ihn an die Stelle seines Sohnes zu nehmen. >>Mein Sohn«, sagte er, »hat nur einige Winter gesehen; seine Füsse haben niemals den Kriegspfad betreten. Aber meines Hauptes Haare sind weiss, und über den Gräbern meiner Angehörigen habe ich viele Skalps aufgehängt, die ich von den Häuptern eurer Krieger genommen habe.« Des alten Häuptlings Anerbieten wurde vom Fuchsstamm angenommen, sein

1) HELLWALD in TREWENDT's Handwörterbuch Bd. 4, S. 537. Vgl. auch die rührenden Totenklagen der Mandan-Indianer am oberen Missouri um ihre Angehörigen, wie CATLIN, Illustrations etc. of the North American Indians, Bd. 1, S. 89 sie anschaulich schildert.

2) History, Condition and Prospects of the Indian tribes of the United States, Bd. 2, S. 142.

Sohn freigegeben und er selbst am Marterpfahl mit allen Folterqualen verbrannt, die von Wilden ersonnen werden können.<< Was ist diesem Bilde hinzuzufügen, als dass unser Blick sich in scheuer Ehrfurcht senkt?

Diese Geschichte ist um so eigentümlicher, als sie uns von einem Jägervolk berichtet wird, bei dem wir ein derartiges Verhältnis zwischen Eltern und Kindern nicht ohne weiteres voraussetzen können. Denn im allgemeinen ist das, was wir Eltern- und Kindesliebe nennen, ein Kulturerwerb später Zeit. Mindestens der Sohn trennte sich frühzeitig, oft schon vor Eintritt der Mannbarkeit, von den Eltern und ging selbständig dem Erwerb seines Unterhalts nach. So ist es nicht nur von den Indianern, sondern auch aus aller Welt, auch von Eskimos und Australiern, und aus Europa von den wandernden Zigeunern Siebenbürgens bezeugt1). Erst wenn der Stamm ansässig wird, der Erwerb nicht mehr vom Zufall und von den Fährlichkeiten der Jagd abhängt, wenn die Scholle eine Mehrheit von Menschen ernähren kann und jeder Arm willkommen ist, der den Pflug ziehen und den Stier bändigen kann erst dann bildet der häusliche Herd den Mittelpunkt, an dem alle Interessen des Einzelnen in dem Interesse der nächsten Familie zusammenlaufen. Erst dann werden »>Vater« und »Mutter<< zu Begriffen, die auch den Rohesten zwingen.

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Dieser Herd, der den ersten Ansiedlern Licht, Nahrung und Wärme bot, um den ihr dürftiger Wohnraum belegen war, wurde zum Altar, auf dem die Opfer dargebracht wurden. Und wie der Altar aus dem Herd, so wuchsen aller Vermutung nach auch die ältesten Götter aus dem Heim der Familie. Der Geist des Gestorbenen wurde gefürchtet, aber vielfach bestand auch der Glaube, dass die Seele des verstorbenen Vaters den Kindern und Kindeskindern Schutz verleihen könnte. Und man suchte sich das Wohlwollen des sein früheres

1) HELLWALD, Menschliche Familie, S. 168; FRIEDRICHS in Zeitschrift, Bd. 10, S. 247 ff.

Heim umschwebenden Geistes durch regelmässig wiederkehrende Totenopfer zu sichern 1). So wurden die Vorfahren zu Hausgöttern (Laren, lares privati)2), unter deren Schutz der Herd und die Familiengemeinschaft stand, deren Bilder zum Zeichen des Familienbandes wurden. Dieser Kult ist über die ganze Erde verbreitet und wahrscheinlich der Ausgangspunkt der Götterverehrung; er findet sich, wie bei den indogermanischen und semitischen Völkern, so auch bei den afrikanischen Negern und den Malaien des ostindischen Archipels. Bezeichnend ist, dass man im alten Indien das Sanskritwort für »Sohn«, putra, als »>Erretter aus der Hölle«3) deutete. Mag diese Herleitung auch vor der modernen Sprachforschung nicht bestehen können, so ist sie doch dem Vorstellungskreis des Inders entnommen; sohnlos zu sterben, ist ihm ein Unglück, da nur der Sohn die Totenopfer bringen kann, die dem Verstorbenen Ruhe im

1) KOHLER, in Zeitschrift, Bd. 6, S. 414; FUSTEL DE COULANGES, la cité antique, S. 15 ff.; HEARN, Aryan household, S. 39 ff.; WILSON, Westafrika, aus dem Englischen, Leipzig 1862, S. 292. PHILOSTRATUS, APOLLONIUS VON TYANA 4, 16, der den Schatten des Achilles die Thessalier bedrohen lässt, falls sie ihm nicht Totenopfer bringen. Ähnlich die merkwürdige Geschichte von der Totenstätte der Phokäer bei HERODOT 1,167 und den Toten, die ihre Gräber verliessen und die Strassen Roms beunruhigten, bis man ihnen die Totenopfer gab, bei OVID, Fasten 2, 549-556; vergl. auch namentlich ÄSCHYLOS' Choephoren und die Gebete, die Electra dort an den Schatten ihres Vaters richtet.

2) Für die Hebräer vergl. 1. Mos. 31, 19, 30 ff.; 1. Samuelis 19, 13; 2. Kön. 23, 24. Wegen Centralafrika vergl. MACDONALD, Africana, London 1882, Bd. 1, S. 110: >> Der Verstorbene ist jetzt in der Geisterwelt und empfängt Opfer und Anbetung. Er wird angeredet als »>Unser grosser Geist, der vorausgegangen ist. << Er hat jetzt eine gewisse Macht über Leben und Schicksal seiner ihn überlebenden Angehörigen. Ebenso werden in der Südsee die Geister verstorbener Häuptlinge verehrt, und Gebete an sie gerichtet. (W. ELLIS, Polynesian Researches, London 1830, Bd. 2, S. 39, 191, 195.)

3) Extractor from hell; vergl. MORGAN, Systems of Consanguinity and Affinity, S. 39 in der Anm. unter 3.

Jenseits schaffen und andererseits sein Wohlwollen und seinen Schutz dem Hause gewähren. So ist die Sohnespflicht in Indien, aber auch in China; auch hier reichen die Beweise des Gehorsams der Kinder über den Tod hinaus: auf den Ahnenkult wird grosser Wert gelegt1), und ist es dringende Pflicht, für Nachkommen zur Fortsetzung des Kultus zu sorgen3).

So verknüpfen sich Tod und Leben. Die Geister der Verstorbenen wachen schützend über die Lebenden, wie diese der Toten zu gedenken haben, und aus den Vorfahren und Männern der Vorzeit werden die Göttergestalten, in denen die Erinnerung der Vergangenheit sich ins Ungeheure steigert und das, was Generationen gedacht, vollbracht und ersehnt haben, mit Einem Götternamen umfasst.

1) PLATH, in den Abhandlungen der Münchener Akademie der Wissenschaften, phil.-phil. Klasse IX, S. 923 ff.

2) KOHLER a. a. O. Bd. 6, S. 380 Anm. 68.

III. Buch

Künstliche Verwandtschaft und Blutsbrüderschaft

Unser heutiger Begriff der Kindschaft ist dem der Bluts

verwandtschaft entnommen, und wir sind daher gewohnt, unter Adoption einen Behelf späterer Zeiten, eine Errungenschaft fortgeschrittener Kulturepochen zu verstehen. So sprechen wir von künstlicher Verwandtschaft, der natürlichen gegenüber. Aber das ist lediglich unsere Auffassung dieser Dinge ganz anders in uralter Zeit. Die Grundlage der Kindschaft war, wie wir vorhin gesehen haben, nicht die Verwandtschaft des Vaters mit dem Kinde gerade das, was uns so über alle Massen natürlich erscheint, ist ein Fortschritt späterer Zeit sondern brutal und roh das Herrschaftsverhältnis des Vaters. Ihm wuchs der Sohn als Eigentum zu wie die Frucht des Feldes, so auch der Arm, den er zu ihrer Bestellung brauchte, und, wie wir weiter gesehen haben, die Hand, die ihm dereinst das Totenopfer darbringen sollte. Und aus diesen Gründen war man auch genötigt, einen Sohn zu haben; es wurde lange Kulturperioden hindurch als das grösste Unglück betrachtet, sohnlos zu sterben; dem Lebenden fehlte dann eine Stütze und wie die Menschheit, sobald sie die ersten Bedürfnisse des Diesseits sich dienstbar gemacht hatte, stets über den Tod hinaus bedacht war der Rächer des Todes, der Fortsetzer des Geschlechts und der häusliche Totenpriester. So suchte

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