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Solch eine Stätte ist das väterliche Haus, der Ort, an dem wir als Kinder gelebt, an dem wir so heiter und sorglos gespielt haben, an dem so unvergeßlich warme Liebe uns umfing, und an dem wir uns so recht von Herzen froh und glückselig fühlten. Das Vaterhaus mag oft in einer recht einförmigen, trostlosen Gegend liegen, es mag oft recht häßlich und unbequem sein, vielleicht nur eine niedrige Hütte, dennoch liegt über ihm ein ganz einzigartiger Zauber. Wenn wir nach langer Abwesenheit wieder einmal dahin zurückkehren, welche freudige Beklommenheit erfaßt da unser Herz! Wie freundlich leuchten uns die Lichter des alten, trauten, heimatlichen Herdes entgegen, wie die Sterne einer bessern Welt! Wie beschleunigt sich da unser Schritt! Wie können wir es kaum erwarten, bis wir die lieben Näume wieder sehn, in denen jeder Winkel eine andere Erinnerung aus den schönen Tagen unserer Kindheit in uns wachruft !

Solch eine Stätte ist der Ort, an dem zwei Lebensgefährten sich einst ihre Herzen erschlossen, an dem sie sich die Hand reichten für's Leben, an dem sie zu einander redeten mit jenen tiefen Blicken des Auges, die des Herzens innerste Empfindungen so viel wahrer und_vollständiger kund thun, als die unzureichenden, die Heiligkeit eines Augenblickes oft geradezu entweihenden Worte des Mundes. Welche Gatten werden nicht immer wieder freudig jenes stillen Ortes gedenken, an dem das Band innigster und unauflöslicher Lebensgemeinschaft geknüpft wurde, da nur Einer ihr Zeuge war, der treue Himmelsvater, dessen Segenshand über jedem Bunde reiner, treuer Liebe schwebt. Die Ehe mag noch so glücklich werden, die erste stürmisch aufwallende Neigung mag sich im Zusammenleben mehr und mehr vertiefen und in schweren Stunden erproben als feste, unzerstörbare Liebe, es mögen Tage und Jahre dahingehen, an denen mit jedem neuen Morgen ein Gatte den ganzen vollen Werth des andern mehr zu würdigen versteht, ihr Haus mag sich zu einer Hütte Gottes bei den Menschen gestalten, dennoch werden sie sich stets mit ge= hobenem Herzen jenes Ortes erinnern, über dem das Morgenroth ihrer Liebe geleuchtet; bei all ihrem Glück wird es ihnen sein, als ob doch nie wieder eine solch himmlische Seligkeit ihre Brust durchglüht hätte, wie da= mals; wenn ihre Haare gebleicht sind, werden sie noch seiner gedenken, ja es wird sie hintreiben zu ihm, daß sie dort von neuem ihre Hände in einanderlegen, und der eine dem andern dankbar bekennt: was ich bin, das bin ich durch dich geworden. Dieses Fleckchen Erde bleibt ihnen eine hei= lige Stätte, mit der das tiefste Sehnen, das reinste und wärmste Empfinden ihres Herzens auf's Innigste verwoben ist.

Sowie nun aber diese Orte, an denen wir unsere Lieben gefunden

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haben, so ist uns eine solch theure Stätte auch der Ort, in den wir manchen unserer Lieben zur letzten Ruhe gebetet haben der Friedhof. Wer verspürte nicht manchmal den Drang in sich, dorthin zu gehen, wo Hügel an Hügel sich reiht, um an dem stille zu stehn, in dem vielleicht das Theuerste ruht, was Gott uns hier auf Erden gegeben, um auf ihm einen frischen Kranz der Liebe niederzulegen? Ist ja doch der Friedhof nicht bloß eine weihevolle Stätte, die uns erhebt über das Jagen und Treiben, über die Sorgen und Lasten dieses Erdenlebens, auf der wir so recht frei, von Grund des Herzens zu beten vermögen; ist es ja doch nicht bloß ein ernster Ort, der uns sagt: siehe, auch dich werde ich einst aufnehmen, auch du wirst ruhen in meinem Schooße, nein es ist uns ein recht eigentlich lieber Plaz. Wir fühlen uns dort unsern Lieben näher, ihre Gestalt tritt lebendig vor unsere Seele, wir durchleben mit ihnen nochmals die Tage, da sie uns liebreich zur Seite standen, ja es ist uns beim Nauschen der Trauerweiden, als ob ihr Hauch uns umwehe, und Friede zieht ein in's betrübte Herz.

O meine lieben Brüder, sehe es keiner als eine Schwachheit an, hinzutreten zu den Gräbern der Seinigen! Nein, folgen wir getrost dem Zuge des Herzens! Wer seine Entschlafenen ehrt und sie fort und fort liebt, für den ist's ein wahres Bedürfniß, auch ihr Grab manchmal aufzusuchen. So wenig wir einem unprotestantischen Todtenkultus huldigen, so wenig wollen wir uns in den engen und so frostig kalten Panzer gefühllosen Vergessens hineinzwängen. Das Vöglein singt ruhig sein Lied weiter auf dem schwanken Zweige, wenn auch unter ihm ein Menschenleben in den kalten Schoß der Erde sinkt. Das Sterben ist ihm nicht mehr, als das Fallen eines Blattes. Ist es denn aber auch für uns nicht mehr? Ist es ein Zeichen von Mannesmuth, wenn wir unbekümmert unsere Lebensstraße weiter ziehen, während an unserer Seite ein Freund niedersinkt, der bisher mit uns pilgerte? Nein, thun wir uns nicht solch unnatürlichen Zwang an! Treten wir manchmal hin an die Ruhestätten unserer Lieben! Was wir nicht immer leiblich thun können, das wollen wir wenigstens im Geiste thun. Gehe ein Jeder im Geiste hin zu dieser ihm theuren Stätte, ob sie nun nahe sei oder ferne, und verkehre mit denen, die dort ruhen, ob nun seit kurzer oder langer Zeit. Ein solcher Verkehr ist ja sehr wohl möglich. Sie reden zu uns, unsere Lieben, wie sie einst zu uns redeten, als wir uns mit ihnen freuten in den Tagen des Glücks und weinten in trüben Stunden. Daß wir doch Alle ein Ohr haben möchten für ihre Sprache! Daß wir doch Alle verstehen möchten, was sie uns sagen von Tod und Trennung, aber auch von Leben und Wiedersehn! Was sie, un

sere in Gott ruhenden Freunde uns zurufen, läßt sich nicht kürzer und treffender ausdrücken, als in dem Worte des Todesüberwinders: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Phil. Quenzer.)

Albert Bihius. †

Schon schließt sich wieder das Grab über einem Vorkämpfer der kirchlichen Reform im Schweizerland. Wenn man vor 12 Jahren die geistigen Führer des freien Christenthums aufzählte, nannte man allen voran Heinrich Hirzel, Heinrich Lang, Friß Langhans und Albert Bißius. Unter ihnen war der Lezte nicht der Geringste, mit keinem andern vergleichbar, und nun hat er schon wie sie den Lauf vollendet, die ersten drei kaum 50 und der legte bloß 46 Jahre alt. Nimmt man dazu, daß der Bündner Luzius Michel und der Zürcher Berchthold und der Berner Albert Heuer, die im zweiten Glied für die gleiche Sache mitkämpften, als Jünglinge gefallen sind, und denkt man ferner an den Tod von Dekan J. J. Schmied, Professor Desor, Regierungsrath Zollinger und so viele Andere mehr, die wir alle innert 10 Jahren hinausbetteten, so wird uns zu Muth, als gingen wir über ein Schlachtfeld und „kalt weht der Abenthauch."

Ein intimer Freund des Verstorbenen schreibt:

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Was man wünscht, das hofft man. Wir wußten ja wohl, daß nach menschlicher Voraussicht für unseren schwer erkrankten Erziehungsdirektor eine vollständige Wiederherstellung nie mehr zu hoffen war. Wir sahen ja wohl, wie sich mehr und mehr die traurigen Vorboten der unvermeidlichen Auflösung einstellten. Und doch: mit jedem Anfflackern des seinem Erlöschen so nahen Lebenslichtes hofften wir bis in die letzten Stunden auf den Sieg des Lebens über den Tod.

Nun ist das Unvermeidliche geschehen: Albert Bißius hat den langen Leidenskampf ausgekämpft und trauernd stehen die Seinen an dem Todtenbette ihres geliebten Gatten und Vaters. Aber sie sind nicht allein: weit über die Grenzen unseres Kantons, ja des Schweizerlandes hinaus füllt dieser Tod Häuser und Herzen mit Trauer. Und zu den politischen und religiösen Gesinnungsgenossen gesellen sich auch die Gegner, die mit uns das so frühe Ende des hochverehrten Mannes aus aufrichtigem Herzen beklagen.

Ja, ein Mann war unser Bißius: ohne Furcht und ohne Falsch, gleich offen gegen Freund wie Feind, unerschrocken seinen Weg schreitend, ob Andere ihm folgten oder nicht. Und wie verstand er doch im frischen

Kampfe der Geister die scharfe Klinge zu führen; wie herzlich aber auch schüttelte nach demselben die nämliche Rechte die Hand des Gegners! Wer kann sie vergessen, die kraftvolle Gestalt, den charaktervollen Kopf mit dem Auge, das Menschen und Dinge bis auf's Innerste prüfend erforschte, mit dem Munde, aus dem wir so manches herzliche Lachen vernommen!

Und wie im Leben, so war er ein Mann auch auf seinem langen, schmerzenreichen Krankenlager. Schritt für Schritt mußte der Tod mit ihm ringen um den Sieg, Zoll um Zoll mur konnte er vorwärts dringen: und in allen diesen langen Wochen und bangen Nächten blieb der Heimgegangene innerlich Sieger über seinen Gegner, der ihn nur äußerlich zu überwältigen vermochte, so daß auch theologische Gegner bewundernd gestanden, hier habe der Tod seinen Stachel verloren.

Und doch war der Mann, der hier ein erhebendes Beispiel des ge= duldigsten, gelassensten Duldens gab, im Grunde durch und durch ein Mann der That. Was er in Schrift und Wort, in öffentlicher Versammlung wie im Freundeskreise je und je so eifrig verkündete: „Selbst ist der Mann", bei ihm war es nicht, wie bei so Vielen, eine kalte graue Theorie, sondern eigenes Leben, sein ureigenstes Selbst. Weil er zu allen Zeiten erst sorgfältig erwog, ehe er seine Entschlüsse faßte, weil sein Thun alles auf der gründlichsten Prüfung ruhte (wie namentlich auch die Reden, die er gehalten, und die Artikel, die er geschrieben, das Produkt der gewissenhaftesten Verarbeitung waren, so daß er deren Form wieder und wieder umänderte), stellte er beim Einzelnen wie beim Ganzen Alles auf die eigene Arbeit ab, anf freie Initiative und thatkräftige Ausdauer.

Diesem Thatendurst entsprang auch sein Optimismus: ein Optimismus nicht von der Art, die Alles gehen läßt, wie es eben gehen will, sich damit einschläfernd, es werde schließlich schon recht herauskommen ; sondern der Optimismus, der, weil er an das Gute und den Sieg desselben glaubt, auch dafür einsteht mit Leib und Seele, für das Gute lebt und stirbt. Eben dieser Glaube an den Sieg des Guten bewahrte ihn aber auch vor überstürzendem Ungestüm, das entweder alles will oder nichts. Auch für den geringsten Fortschritt dankbar, war er froh, wenn heute nur etwas geschah, überzeugt, daß morgen auch noch ein Tag sei und die Gedanken nie stille stehen.

Darum ein Mann der Zukunft war und blieb er stets jung im Geiste. Mit Vorliebe mahnte er daher auch seine Genossen an das kommende Geschlecht und ihre Pflichten gegenüber demselben. Was unsere Väter gethan, das diente bei ihm nicht, wie leider bei so Vielen in unserm engern und weitern Vaterlande, der eigenen Trägheit und Bequemlichkeit

zum bequemen Ruhekissen, sondern es brannte ihm auf der Seele, sich der= selben würdig zu zeigen, damit unsere Kinder sich ihrer Väter nicht zu schämen, sondern zu rühmen hätten. Nicht durch schöne Worte und glänzende Feste wollte er die Thaten unserer Väter gelobt und gelohnt wissen, sondern durch die eigenen Thaten ihrer Söhne.

Insbesondere seines geliebten Bernerlandes Ehre und Größe lag ihm am Herzen. Keiner hat dessen Wesen und Bestimmung mit tieferm Verständniß erfaßt als er. Nicht blos seinem Charakter nach, auch in seinen Ideen und Idealen war er des richtigen Berners Ur- und Vorbild. Seine Ruhe, sein nüchternes Prüfen und Wägen, sein durch und durch offenes und ehrliches Wesen, seine biedere Herzlichkeit gegen Jedermann, vor Allem aus aber die eiserne Arbeitskraft und die ausdauernde Zähigkeit seines Willens: Alles das sind die besten Züge des Bernercharakters, die sich in ihm zu herzerquickender Harmonie vereinigten. Und alle diese Kräfte sette er in raftloser Arbeit, ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohl und Wehe, ein für sein heißgeliebtes Bern, in dem er das Herz des Schweizerlandes erkannte. Er wußte, daß Bern's Größe die Größe der Eidgenossenschaft, ein Sinken Bern's ein Sinken auch für die Eidgenossenschaft bedeutet. Weil er ein treuer Eidgenosse war, war er ein guter Berner.

Albert Bizius war kein Mann der großtönenden Worte. Es hat feinen entschiedeneren Feind der Phrase gegeben, als ihn. So weit ging diese Antipathie in ihm, daß ihm z. B. nichts so „auf die Nerven gab“, wie er sich ausdrückte, als das Wort Reform und Reformer. Darum prahlte er auch nicht, wie es gegenwärtig nachgerade allgemein Mode geworden, mit dem Worte Demokratie. Aber er war ein Demokrat der That. Aus dieser seiner Demokratie entsprangen alle seine politischen und religiösen Grundsäge und Handlungen. Und daß der demokratische Gedanke in unserem Geschlechte, das doch so viel davon spricht, noch so wenig That und Wahrheit geworden, das empfand er so oft auf's Schmerzlichste. Es ist noch kein Jahr her, daß er diesem Gefühle im Großen Rathe (anläßlich der Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe am 24. November 1881) in folgenden ergreifenden Worten Ausdruck gab:

„Es kommt eine neue Generation, die auch noch fester demokratisch ist, als wir. Wir sind noch umgeben von monarchischen Staaten und erst seit 50 Jahren aus dem aristokratischen Regimente entlassen. Darum spüren wir Alle Eines noch nicht so sehr, nämlich den innigen Zusammenhang aller Glieder eines Volkes, und den Schmerz, wenn eine solche That radikaler Chirurgie an dem Volksleibe vorgenommen wird. Aber es kommt ein Geschlecht, das diesen Zusammenhang lebhafter als wir empfinden wird.

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