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unseren Alltagsstuben herumgedrückt hat, des Abends eine Stunde oder so in hohen, schönen Räumen zuzubringen.

Walter erstaunte weniger über diese Antwort, als über den Ton, in welchem Leo sie hinwarf.

Ich denke, es ist für uns ebenfalls Zeit, aufzubrechen, sagte er und rief den Kellner, der sich nicht sonderlich beeilte, dem Rufe Folge zu leisten.

Indeß kam der Fremde wieder in den Saal, seßte sich an denselben Tisch, an welchem er vorher mit seiner Gesellschaft gesessen hatte, und bestellte eine halbe Flasche Champagner.

Willst Du nicht mit? fragte Walter, als Leo keine Anstalt machte, ihm zu folgen.

Aufrichtig, ich möchte noch etwas bleiben.

Wohl, aber verzeihe, wenn ich Dich verlasse, ich habe morgen viel zu thun und muß früh anfangen.

Die Vettern sagten sich gute Nacht und reichten sich die Hände, aber nicht mit der Wärme, wie sonst wohl. Walter war ernstlich böse auf Leo, und Leo's Gedanken waren. augenscheinlich mit anderen Dingen oder Personen beschäftigt.

Vierzigstes Capitel.

Das vorher sehr gefüllte Local hatte sich mittlerweile ziemlich geleert; aus den anderen Räumen ertönte nur noch zuweilen Lachen und Gläserklirren; in dem Saal aber, in welchem Leo war, befand sich außer ihm nur noch der Herr, der seine Aufmerksamkeit schon vorhin erregt hatte und zu dem er auch jest wieder über das Zeitungsblatt weg, das er zur Hand genommen, hin und wieder forschende Blicke schweifen ließ. Dabei bemerkte er denn, daß jener in seine

Zeitung ebensowenig vertieft war. Endlich legte der Mann das Blatt hin, trant ein Glas Wein, erhob sich, trat vor einen der Spiegel, ging ein paarmal auf und ab, blieb dann, als er zum zweitenmale an Leo vorüberkam, stehen und sagte:

Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie neugieriger, als es die Schicklichkeit erlaubt, mit Blicken verfolgt habe, aber Sie sind selbst Schuld daran.

In der That? erwiederte Leo, sein Blatt ebenfalls hinlegend, mit einer leichten Neigung seines Hauptes.

Ganz gewiß, fuhr der Andere fort; wenn man, wie Sie, nicht aussieht wie andere Menschen, muß man sich dergleichen gefallen lassen.

Da man in so höflichem Tone Beleidigungen nicht vorzubringen pflegt, nehme ich an, daß Sie eine derartige Abficht nicht haben, sagte Leo.

Beleidigen! rief der Andere, seit wann ist es eine Beleidigung, wenn Einem gesagt wird, daß er nicht aussieht wie andere Menschen? Ist es je eine gewesen, so ist es heutzutage gewiß keine mehr.

Und warum heute nicht mehr?

Das wissen Sie genau so gut, wie ich; oder weshalb fißen Sie hier, nachdem Mitternacht vorüber ist und Sie Ihren Freund mit den unschuldigen blauen Augen zu Bett geschickt haben? Sie sizen hier, weil Sie allein sein wollen, weil Sie gewohnt sind, allein zu sein; und würden Sie diese bittersüße Gewohnheit haben, wenn Sie wären, wie andere Menschen, und in Folge dessen aussähen, wie andere Menschen? Habe ich bewiesen, was zu beweisen war?

Vollkommen, sagte Leo lächelnd.

Nun denn, so erlauben Sie mir, meinen Wein in Ihrer Gesellschaft zu trinken?

Der Fremde wartete Leo's Antwort nicht ab, befahl dem Kellner, ihm eine neue Flasche zu bringen, sezte sich und sagte:

Es sind nicht Alle frei, die ihrer Ketten spotten. Jch,

der ich, ohne ein weiser Nathan zu sein, mich freue, in dieser späten Stunde gegen alles Erwarten einen Menschen gefunden zu haben, und der sich also daran genügen lassen sollte, kann doch nicht umhin, der stupiden Gewohnheit zu folgen und mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Doctor Ferdinand Lippert, Privatsecretär des Prinzen ich habe Ihnen schon tausendmal gesagt, Jean, daß ich diese Marke nicht trinke?

Diese Zurechtweisung hatte Ferdinand Lippert verhindert, zu bemerken, daß, als er seinen Stand nannte, Leo sich vers färbte und es dann sonderbar durch sein ganzes Gesicht zuďte.

Entschuldigen Sie, sagte er, man hat seine Noth mit dem Gesindel ich habe wirklich Ihren Namen überhört,

oder nicht?

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Leo nannte sich, und Ferdinand sagte, während er nach dem Kellner ausblickte, der ihm zu lange zu bleiben schien: Den Namen sollte ich, däucht mir, schon gehört haben. Das wäre kein Wunder; der Adreßkalender füllt jährlich einige seiner Spalten damit aus.

O nein, nicht so — in einer eigenen Beziehung, auf die ich mich aber in der That in dieser Stunde nicht besinnnen kann; es ist sonderbar, wie günstig der Champagner der Entfaltung aller übrigen Geistesthätigkeiten ist und sich doch mit dem Gedächtniß nicht vertragen kann. Es ist sonder dar, sehr sonderbar.

Er stüßte den Kopf in die Hand. An der weißen, schmalen Hand waren die Adern sehr stark hervorgetreten und ebenso an den Schläfen, während es auf der Stirn wie eine rothe Wolke lag und der vorherige schöne Glanz der Augen sich in ein düsteres Feuer verwandelt hatte. Es bes durfte nicht Leo's kundigen Blickes, um zu erkennen, daß der Kellner sich in dem Zustande seines allabendlichen Gastes nicht eben sehr verrechnet hatte und daß Ferdinand in der That mehr als halbbetrunken war.

Der Champagner war gebracht; Leo füllte die Gläser und sagte: Das ist so sonderbar nicht, und vor Allem scheint

es mir eine weise Einrichtung. Nunc vino pellite curas! Wie könnte man dem frommen Befehle folgen und die Sorgen vergessen, wenn der Wein das Gedächtniß aufmunterte, anstatt es einzuschläfern?

Sorgen! sagte Ferdinand, was haben Sie und ich, die wir Beide noch nicht dreißig Jahre alt sind, mit Sorgen zu thun?

Ich eben nicht, aber Sie, ein Mann in einer wichtigen, verantwortlichen Stellung; ein Mann, der sich fortwährend in der höchsten Gesellschaft bewegt, jedes Wort auf die Wagschale legen, jeden Blick berechnen, jeden Ton harmonisch abstimmen muß; ein Mann, der eine so schwierige Position in jedem Moment behaupten und sie nur durch das Uebergewicht seines Geistes behaupten kann, da ihm nicht einmal der Vortheil einer adeligen Geburt zur Seite steht ein solcher Mann, sollte ich denken, muß in der That manchmal das Bedürfniß haben, seine Seele im Champagner von allen Sorgen rein zu baden.

Ja, bei den Göttern, Sie haben Recht! rief Ferdinand; der Champagner bringt Alles an seine rechte Stelle; von Zwölf bis Zwei in der Nacht seh' ich die Welt wie sie ist! Da fallen alle Masken, da fällt der übrige Plunder, mit dem sie sich herausstaffiren auf diesem närrischen Mummenschanz! O, es ist ein lustig, lustig Ding, Alles zu wissen, Alles zu sehen! Was wollen Sie? Ich sehe den Jean, wie er mir hinter dem Rücken eine Faust ballt! Ich sehe in Ihren Augen ein Licht, ein klares Licht, das durch den Weindunst nur unten ein klein wenig blau gefärbt ist, sonst aber nicht im Mindesten flackert, und mit dem Sie mir über Stirn und Augen leuchten, ganz ruhig, ganz methodischwissenschaftlich. Ist das nicht köstlich?

Ich muß Ihnen glauben, was Sie mit so großer Bestimmtheit aussprechen, sagte Leo.

Ja, ja, glauben Sie mir immerhin, sagte Ferdinand. In meinen Augen werden Sie dadurch nicht schlechter. Es ist ein Genuß, ein Gesicht sich gegenüber zu haben, das

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ordentlich componirt ist und dessen großartige Plastik Einem immer imponirender entgegentritt; es ist ein hoher Genuß, selbst wenn man seinen Meister gefunden hat, selbst wenn man hinaufschauen muß, wie ja, wie der knieende sichelschleifende Sclave, den ich einmal in einem Sculpturensaal sah. Es lag so viel Erdenjammer in den gedrückten und doch auch wieder so schlaffen Zügen dieses stumpfen Menschengesichtes, in der faltenreichen Stirn, in den heruntergezogenen Lippen. Ich stand lange davor; es wurde mir wehe um's Herz. Die langgeschlißten Augen waren mit einem bittenden, klagenden Ausdruck in die Höhe gerichtet, ganz starr, ganz starr! Ich folgte endlich dem starren Blick, und da sah ich einen mit dichtem Epheukranz und breitem Diadem ge= schmückten Bacchuskopf Lippen, die alle Grazien geküßt hatten, Wangen von einer Zartheit der Formen, die aller Beschreibung spottet, herrlichste, große, feuchte, träumerische, mitleidige Augen, die immerfort auf den sichelschleifenden Eclaven schauten und deutlich sagten: Du armer Sohn des Lasters und der Noth! ich kann Dir nicht helfen - Gott, wie ich bin, und wie oft ich mich auch im Nektar berausche

ich habe keinen Dreier in der Tasche, und ohne Geld kann man unten bei Euch auf Erden keinen Champagner trinken. So sichle Du immer fort, bis der große Schnitter kommt und Dich mit dem übrigen Grase abmäht! - Was wollte ich doch nur mit den beiden Marmorpuppen? Ja so die Eine, der Bacchus, sollten Sie sein, und der Andere ich. Sie sehen nicht aus wie ein Bacchus - wahrhaftig nicht! eher wie der Apoll, der in das Lager der Danaer die tödtlichen Geschosse schleudert — gleichviel! hinaufblicken muß man; das ist eine Wollust, schon der Abwechselung wegen. Aber hinabblicken zu müssen, wie es mir alle Abende, so oft ich hier bin, in diesem Saale passirt; sehen zu müssen, wie die glatten, dummen Gesichter immer glatter und immer dummer werden, bis man zuleht gar keine Menschengesichter, sondern lauter Thierfraßen, meckernde Böcke, blökende Hammel, wiehernde Pferde um sich hat das ist ein Sput, bei dem

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