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seinem Streben scheitert, beladen mit dem Hohn und dem Spott, den die Welt für Abenteurer und Narren in Vorrath hat, aus dem Leben scheidet.

Leo's dunkle Augen leuchteten in seltsamem Feuer, während er, die schlanke Gestalt hoch aufgerichtet und mit der Rechten gleichsam in die dunkle Zukunft deutend, die letzten Worte sprach. Der fast mystische Zauber, den Leo's Persönlichkeit in früheren Jahren auf ihn ausgeübt hatte, umschauerte Walter wieder. Wie hatte er, wie hatte Paulus wähnen können, sie seien im Stande, diese dämonische Natur zu bändigen! So mochte man auch der Sturmeswolke sagen: Komm' hieher!

Er drückte Leo stumm die Hand und verließ das Zimmer. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, that Leo schnell ein paar Schritte, als wolle er ihn zurückrufen. Aber noch ehe er die Thür erreicht, blieb er stehen. Was könnte es helfen, murmelte er, über lang oder kurz müßten wir uns doch trennen; warum nicht heute ebenso gut wie morgen?

Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ständen da die friedlichen Bilder, die in seiner Seele auftauchten

Bilder aus der Jugendzeit, aus seinem Zusammenleben mit Walter in den schattigen Tiefen der Tuchheimer Wälder, in dem kleinen Giebelzimmer des Försterhauses, aus deffen niedrigem, weinumlaubtem Fenster sie so oft gemeinsam zu den blizenden Sternen aufgeschaut hatten. Er war doch nicht immer so einsam gewesen, brauchte jezt vielleicht wiederum nicht einsam zu sein. Hatte sich nicht Walter in einer Weise entwickelt, wie er es nie für möglich gehalten? Konnte, durfte er im Interesse der Sache einen solchen Bundesgenossen zurückweisen? Und doch! und doch! Er fannte fie ja, diese Ideologen, die ihre Kämpfe im reinen Aether der Gedanken führen und deren Streiche deshalb immer in die leere Luft treffen! diese Gefühlsmenschen, die Großes erreichen wollen und sich dann immer wieder durch Privatrücksichten von ihrem Wege ablenken lassen! Was hat Walter

in diesem Augenblicke, wo er sich seiner Haut wehren muß, wo für ihn so viel auf dem Spiele steht, an des Freiherrn Angelegenheit zu denken? Sie wollen Politiker und Privatmann, mitleidloses Werkzeug einer Idee und gemüthvolle Familienmenschen - Alles in einem Athem sein und sind darüber nichts!

Leo schleuderte sich mit einem Ruck empor, als jeßt die Klingel zum Vorsaal scharf angezogen wurde. Er hörte seinen Diener mit einer wie es ihm schien Frauenstimme sprechen.

weinenden

Was giebt's? rief er dem Eintretenden entgegen.

Der Diener meldete, das Dienstmädchen von Frau Castellan Lippert sei dagewesen und habe gesagt, daß der Herr Doctor doch schleunigst hinkommen möchte. Sie habe noch Anderes gesagt, was er aber vor dem Weinen und Schluchzen des Mädchens nicht verstanden habe. Das Mädchen sei gleich wieder fort gelaufen. Leo schloß die Briefe und wichtigen Papiere in den Secretär und befahl dem Diener, die Lampe brennend zu erhalten. Er werde bald zurückfommen.

Dreiundfünfzigstes Capitel.

Seit jener Nacht, in welcher Leo sich von Eve unter so eigenthümlichen Verhältnissen getrennt hatte, war er nur ein paarmal in der Lippert'schen Wohnung gewesen, und immer nur, um die franke Frau Lippert zu besuchen. Eve hatte er nicht wieder gesprochen und nur einmal flüchtig gesehen, während sie, als er eintrat, schnell durch eine zweite Thür das Krankenzimmer verließ. Er hatte nicht versucht, sich ihr wieder zu nähern; er wußte, daß sie ihm seine Zurückweisung nun und nimmer vergeben würde. In der

That hatte Eve tein Interesse mehr für ihn, seitdem er durch sie und Ferdinand Lippert so ziemlich Alles über den Prinzen erfahren, was er zu wissen gewünscht. Auch Ferdinand war ihm nicht weiter wichtig; er hatte seinen Dienst gethan und mochte immerhin seinen Prinzen auf dessen Inspectionsreisen begleiten. Er hatte an den jungen Wüstling nur gedacht, so oft ihm in seinen politischen Berechnungen der Wunsch gekommen war, den Brief des Prinzen, den er noch immer in Händen hatte, zu veröffentlichen. Aber dieser Brief war ein Trumpf, der, wenn er das Spiel gewinnen helfen sollte, in dem rechten Moment gezogen werden mußte. Es war ein Todesstoß, wenn das Opfer schon am Boden lag. So weit war es mit der liberalen Partei noch nicht.

Diese Gedanken gingen durch Leo's Kopf, als er schnell durch die langen Straßen, in denen ein Frühlingssturm brauste, nach dem prinzlichen Palais schritt. Er dachte auch des Geheimnisses, das über der Familie Lippert wie eine schwere Wolke hing und, wenn der Tod den Mund der Frau auf ewig schloß, wohl niemals gelöst werden würde.

Was war auch schließlich daran gelegen, ob Ferdinand der Sohn dieses oder jenes Wüstlings war? immer war der Apfel nicht weit vom Stamme gefallen.

Als Leo beim Palais anlangte, fand er die Thür zur Lippert'schen Wohnung offen. Aus dem Wohnzimmer hörte er trotz der dicken Wände und sehr gut schließenden Thüren Ferdinand's heftige Stimme. Er mußte des Tages denken, als Eve ihn zum erstenmale in die Familie eingeführt hatte; er machte sich darauf gefaßt, heute einer ähnlichen Scene zu begegnen.

Leo öffnete die Thür des Wohnzimmers. Ein Blick genügte, zu sehen, daß hier etwas Außerordentliches vor sich gegangen sein mußte. In dem sonst so sauber gehaltenen Gemache sah es wüst aus; Frauenkleider, Wäsche, eine Menge Dinge waren auf die Erde geworfen, wie wenn hier ein Rasender seine Wuth ausgetobt hätte. Und wirklich glich

Ferdinand, der, mitten im Zimmer stehend, gegen seinen Vater die geballte Faust ausstreckte und dazu kaum verständliche Worte kreischte, ganz einem Tobsüchtigen. Herr Lippert stand am Ofen, die Hände auf dem Rücken, den kleinen Kopf mit dem kurzen, struppigen grauen Haar leicht geneigt, die Augen halb geschlossen, wie es seine Gewohnheit war. Nur ein sehr Scharfsichtiger mochte bemerken, daß hinter dieser Maske eisiger Kälte eine innere Unruhe sich nur mühsam versteckte und daß er unter den gesenkten, borstigen Wimpern mißtrauisch spürend nach dem Eintretenden schielte.

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Selbst Leo's Anblick war nicht im Stande, Ferdinand's Leidenschaft zu mildern. Sie ist fort! schrie er ihm entge= gen, seit gestern Abend schon; und er dabei deutete er mit vor Aufregung zitternder Hand nach dem Manne am Ofen - er hat ihr fort geholfen. Aber er soll es bereuen, sie Alle sollen es bereuen; ich will's ihnen beweisen, daß ich nicht mit mir spielen lasse.

Herr Lippert, an den dies Alles gerichtet war, lächelte. Das geht nun schon so eine halbe Stunde fort, sagte er, zu Leo gewendet.

Leo erklärte, daß er nicht gekommen sei, sich in einen Streit zwischen Vater und Sohn zu mengen, und trat, ohne fich aufzuhalten, in das Zimmer nebenan. Das gute Mädchen, das auch eben erst zurückgekommen war, kam ihm auf den Zehen entgegen. - Ich glaube, sie schläft, sagte fie, die arme Frau! Ach, sie stöhnte so entseglich, und da habe ich ste zu Bett gebracht und bin zu Ihnen gelaufen. Die da haben sich gar nicht um sie bekümmert. Sie wissen nicht einmal, daß ich fort gewesen bin.

Was giebt es denn? fragte Leo.

Wissen Sie es denn nicht? Das Fräulein ist ja weg; seit gestern Abend; sie sagen ja

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Leo trat an das Bett. Der Schein der Lampe, welche das Mädchen in der Hand trug, streifte über das blasse Gesicht. Mochten sie immerhin nebenan streiten und toben

diesen Schlaf konnten sie nicht mehr stören; mochten sie

immerhin sich untereinander das Leben zur Hölle machen — diese gebrochenen Augen konnten nun keine Thränen mehr darüber vergießen.

Das Mädchen kreischte laut, ließ die Lampe fallen und stürzte heulend hinaus Leo tastete sich nach dem Wohnzimmer. Die Streitenden hatten den gellenden Schrei ge= hört. Ferdinand blickte verstört, als Leo hereintrat.

Was giebt es? fragte er.

Ihre Mutter liegt nebenan todt! erwiederte Leo. Ferdinand taumelte zurück und stierte ihn wie wahnfinnig an; auch Herr Lippert zuckte zusammen. Leo nahm die auf dem Tische stehende Lampe und ging wieder in das Schlafgemach. Nur Herr Lippert folgte ihm.

Es war nicht schwer zu bestimmen, wie und wodurch der dünne Faden des Lebens der Unglücklichen nun so schnell zerrissen war. Es mußte vielmehr als ein halbes Wunder gelten, wie ihr armes, zuckendes Herz so viel Qualen nur noch so lange hatte ertragen können. Dennoch ließ sich Leo Zeit bei einer vorläufigen Untersuchung, während Herr Lippert sich in einiger Entfernung auf einen Stuhl gesezt und mit einem Tuche sein Gesicht bedeckt hatte.

Und ist sie wirklich wirklich todt? murmelte er.

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Ja, erwiederte Leo, und wenn Sie, wie ich das für sehr wahrscheinlich halte, über diesen Tod froh sind, so seien Sie es nicht minder darüber, daß die geheime Geschichte der Krankheit Ihrer Frau nicht vor die Geschworenen gebracht werden kann es dürfte Ihnen übel ergehen. Nein, Mann, machen Sie keine pathetischen Geberden! Lassen Sie in den Zeitungen drucken: Gestern Abend starb meine geliebte Frau nach langem Leiden am Herzschlage. Aber sparen Sie sich die vergebliche Mühe, mir Ihre Unschuld beweisen zu wollen! Ich sage Ihnen, Sie haben diesen Tod auf dem Gewissen, und Hallunke, wie Sie sind, so hoffe ich doch, es kommt noch einmal eine Zeit in Ihrem Leben, wo Ihnen die Todte hier unbequemer sein wird, als Ihnen die Lebende je ges wesen ist.

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