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Walter's Arm gelegt und war mit ihm, harmlos plaudernd, wie er es sonst mit Niemand that, in den Zimmern, in dem Garten auf und ab gegangen. Das Alles sollte er vergessen haben, sollte er auf immer vergessen können? Charlotte wollte, Charlotte konnte es nicht glauben.

So suchte sie sich selbst zu trösten, zu beruhigen, um ihre geliebte Amélie trösten und beruhigen zu können; und Amélie ihrerseits gab sich die größte Mühe, der geliebten Tante nur immer ein heiteres Gesicht zu zeigen.

Du sollst mich Deiner nicht unwürdig finden, sagte Amélie oft; Du bist im Leben so unglücklich gewesen, und bist so edel und gut was hätte denn ich für ein Recht, zu murren und zu klagen!

Und Walter's Proceß, mein süßes Kind? Ich muß Dich darauf gefaßt machen, daß Walter verurtheilt wird, er selbst, Doctor Paulus, seine anderen Freunde geben seine Sache verloren; man will eben ein Opfer haben. Wirst Du auch das so geduldig hinnehmen?

Wie lange kann seine Haft dauern? fragte Amélie mit bebender Stimme.

Vielleicht nur ein paar Wochen, vielleicht auch ebenso viel Monate.

Und was sagt Walter?

Walter sagt, daß ein Sieg ohne Kampf kein Sieg sei, und ist überhaupt, wie immer, voll frohen Muthes und voll freudiger Hoffnung einer besseren Zukunft.

So will ich es auch sein, so bin ich es auch! rief Amélie, in ihrer Aufregung der Tante Hände leidenschaftlich küssend und mit Thränen beneßend.

Du

Still, still, mein Kind, ich höre Silvia kommen. weißt, sie liebt es nicht, uns sentimental zu finden. Charlotte sagte das wohl lächelnd, aber doch mit einer gewissen Hast, die keineswegs ganz unbefangen war.

Und dann, wenn Silvia wirklich in das Zimmer trat und ihren Plaz am Fenster eingenommen hatte, erhielt das

Gespräch eine andere Wendung, wenn es nicht ganz in's Stocken gerieth.

Das war früher nie geschehen; aber seltsamerweise schien Silvia diese Veränderung, die für die beiden anderen Frauen so schmerzlich war, kaum zu bemerken.

Was ist mit Silvia vorgegangen? Was geht mit Silvia vor?

So fragten die Blicke, mit denen Charlotte und Amélie an der schönen, stummen Gestalt im Fenster hingen; so fragten Charlotte und Amélie oft einander, und Keine wußte etwas, was die Andere über Silvia's Wesen hätte beruhigen oder aufklären können.

Wohin war Silvia's Munterkeit entschwunden? ihre sonnige Heiterkeit? ihr herzliches Lachen? wohin die Schlagfertigkeit ihres Wizes? wohin die kampffrohe Luft, die sie früher am Disputiren hatte? die schöne Freude an holder Wechselrede, die Niemand beffer zu führen wußte, als fie? Einsilbig, ernst, schwermüthig wandelte sie jetzt durch den Tag, ohne eine Spur von Interesse für das, was sonst ihr Leben auszufüllen schien: an der Gesellschaft, an der Lectüre, an der Musik. Sie mied die Gesellschaft, selbst die Char Lotten's und Amélie's, wo es irgend ging; fie, die oft stuns denlang musicirte, hatte seit Wochen, seit Monaten teine Taste berührt, feines ihrer Lieder, die sie so bezaubernd zu singen wußte, angestimmt; sie las, las sogar sehr viel, aber es waren Bücher, Broschüren, die sie sich aus der Bibliothek des Freiherrn geholt, oder die ihr Leo dagelassen oder geschickt hatte, und niemals las sie dieselben in Gegenwart der beiden anderen Damen.

Und verändert wie ihre Beschäftigungen und ihr Wesen war auch ihr Aussehen. Um die herb geschlossenen Lippen spielte nie mehr das reizende Lächeln von ehemals; die großen, sonst so strahlenden, blauen Augen waren tiefer in die Höhlen gesunken und blickten wie durch einen Schleier von Melancholie, wenn sie nicht, was jezt bei dem leisesten Widerspruch geschehen konnte, in Zorn oder Leidenschaft auf

flammten; selbst ihr sonst so elastischer Gang war schleppend geworden, als sei sie des ewigen Kommens und Gehens müde, das doch nur immer in der Frre umher und nie zu einem Ziele führe.

Nicht, daß sie es an rücksichtsvoller Aufmerksamkeit gegen Fräulein Charlotte, an gefälliger Freundlichkeit gegen Amélie hätte fehlen lassen; aber allzu oft waren es nur die alten gewohnten Formen ohne den Geist der Liebe, der dieselben früher beseelt hatte. Was war aus dem Liebereichthum dieses Herzens geworden? Wie war es möglich, daß sie Charlotten's Gorge nicht zu ahnen, daß sie Amélie's Kummer nicht zu kennen, daß sie Walter's Fortbleiben kaum zu bemerken schien? Und auch an ihren alten Vater dachte sie kaum; sie sprach wenigstens jegt sehr selten von ihm, und nie war sie auch nur mit einem Worte auf den Wunsch, nach Tuchheim zurückzukehren, den sie im Anfang des Winters wiederholt und mit Lebhaftigkeit geäußert hatte, je wieder zurückgekommen.

Charlotte und Amélie liebten Silvia viel zu innig, als daß das veränderte Wesen derselben irgend eine andere Empfindung, als tiefste Sorge und das herzlichste Mitleid hätte erwecken können, und auch hier war es wieder CharLotte, die, selbst des Trostes bedürftig, trösten mußte.

Ich habe es immer geahnt, daß eine solche Zeit in Silvia's Leben kommen würde, sagte sie; Silvia mußte einmal den Versuch machen, sich eine Existenz nach ihrem Bilde zu schaffen: eine Existenz, die ihr Raum giebt, die ungemessene Kraft ihres Kopfes und ihres Herzens frei zu entfalten. Ich habe diesen Moment kommen sehen, schon seit Jahren, und jezt ist er da. Es ist eine Krisis in ihrem Leben, aber ich vertraue der Tüchtigkeit und Bravheit ihrer Natur. Sie wird einsehen, daß ihr Loos eben nur allgemeines Menschenloos; daß Keinem von uns vergönnt ist, sich nach allen Seiten auszuleben; daß uns in sehr vielen Fällen schlechterdings nichts Anderes übrig bleibt, als ftumm zu refigniren.

Ich habe immer gedacht, wenn Silvia lieben könnte, ich meine, wenn sie Jemanden fände, den sie lieben könnte, so wäre Alles gut, sagte Amélie mit Lebhaftigkeit.

Charlotte lächelte.

Du, liebes Kind, denkst, daß Alle sich aus derselben Quelle Erquicung und neuen Muth des Lebens trinken müssen. Wenn uns das Schicksal nun nicht so gnädig ist, wir müßten doch auch so unsern Weg durch's Leben finden. Und ich weiß nicht einmal, ob Silvia eine individuelle Liebe genügen könnte. Ideale Naturen, wie sie, streben immer in's Große und Ganze; und wenn ich hoffe und wünsche, daß sie lernen wird, zu refigniren, so will ich damit nicht sagen, daß sie nicht berechtigt ist, sich einen Wirkungskreis zu suchen, wo sie mehr arbeiten und schaffen kann, als sie es hier bei uns vermag. Ich habe oft schon gedacht, fie sollte sich als Schriftstellerin, als Künstlerin versuchen. Hat fie dann Erfolg, so kann sie in ihrer Weise glücklich, ja, ich möchte sagen, in ihrer Weise unglücklich sein; hat sie keinen Erfolg, so ist es immer noch besser, gekämpft zu haben und nicht zu stegen, als sich fortwährend sagen zu müssen: du würdest Großes leisten können, wenn dir nicht jede Gelegenheit, es zu beweisen, genommen wäre. Aber sieh' nur, wie der Kirschbaum dort in vollen Blüthen prangt! Ach, mein Kind, ich habe auch eine Sehnsucht im Herzen, und die ist: Dich, den Vater, uns Alle aus der Stadt zu bringen, zurüc nach unserem Tuchheim, daß wir genesen von so Manchem, was uns hier drückt. Der Vater muß fort, er verkommt hier in einem Leben, das seiner Natur wie seinen Gewohnheiten widerspricht.

So unterhielten sich Charlotte und Amélie, während fie in dem langen, breiten Gange an der sonnigen Gartenwand unter den knospenden Bäumen wandelten und der Freiherr, Gram und Verzweiflung im Herzen, sich hinter den Gardis nen seines Fensters verbarg, um nicht von ihnen gesehen zu werden. Sie waren taum in's Haus getreten, als er herabkam, ihnen zu sagen, daß er nothwendig auf einige Tagę,

vielleicht auf einige Wochen, verreisen müsse. Eine Stunde später war er wirklich abgereist.

Und jezt hatte Charlotte vollauf Gelegenheit, ihren Muth, ihre Seelenstärke zu beweisen. Es war nicht, daß der Bruder so plöglich, so ohne alle Vorbereitung verreiste. Wenn er auch seit sieben Jahren keine größere Reise gemacht, ja kaum noch ausgefahren war, weshalb sollte er nicht einmal plöglich genöthigt sein, zu verreisen? Auch war seine Miene beim Abschied viel heiterer gewesen, als in der ganzen legten Zeit, und er hatte, wie er davonfuhr, freundlich mit Kopf und Hand genickt und gegrüßt aber was war das für eine Geschäftsangelegenheit, die seine Gegenwart so gebieterisch in Anspruch nahm, in dem Augenblick, nachdem er mit Henri eine so heftige Unterredung gehabt, daß der alte Christian noch zitterte, als er dem gnädigen Fräulein davon in aller Eile erzählte? Und vor Henri war der Herr Leo dagewesen, und auch er hatte eine lange Unterredung mit dem gnädigen Herrn gehabt, und der junge Herr und Herr Leo hatten sich im Vorzimmer getroffen und sich mit so zornigen Blicken gemessen ich sage Ihnen, gnädiges Fräulein, noch viel schlimmer, als sonst bei uns zu Hause, obgleich sie auch dazumal schon oft aneinander vorüberstrichen, wie zwei Hunde, die sich am liebsten zerreißen möchten.

Der alte Christian hatte das Alles so verwirrt berichtet, während er die Sachen des Herrn in die Koffer packte, und hatte dabei so recht angstvoll aufgeblickt und mit leiser, heiserer Stimme gefragt: Was giebt es denn eigentlich, gnädiges Fräulein? daß sich Charlotten's Herz in namenLoser Angst zusammen krampfte.

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Der Bruder war abgereist; die Nacht brach herein eine lange, bange Nacht für Charlotte. In ihre Augen kam fein Schlaf. Sie fann und sann, und hoffte, wünschte, fürchtete; sie begleitete den Bruder auf seiner nächtlichen Fahrt, sie wußte faum, wohin - an den Rhein - zu welchem Zwecke? Oder war es nur ein Vorwand? Wollte

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