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mein: Philotas und der portugiesische Prinz Don Fernando sind beide Kriegsgefangene; beide wollen sie nicht ihre Freiheit durch eine Schädigung des Vaterlandes erkaufen. Aber über dieses etwas vage Motiv hinaus erstreckt sich die Übereinstimmung nicht; Philotas ist vor allem kindischer Held; er verzichtet nicht nur auf Freiheit, sondern steigert seinen Heroismus bis zu einem forcirten Selbstmord, obgleich ihm ein günstiger Zufall die Gewissheit gegeben hat, dass seine Auslieferung von der Heimat nicht durch Verluste erkauft werden wird; der leitende Grund in Fernandos Seele ist martyriumsfrohe Religiosität; um keinen Preis will er Schuld daran tragen, dass durch die Hingabe Ceutas an die Mauren Tausende von Christen unter heidnische Herrschaft kämen, dass gar christliche Kirchen zu Moscheen würden; an heroischen Selbstmord zu denken liegt dem frommen Christen natürlich fern. So bleibt bei grössten Verschiedenheiten als gemeinsam übrig höchstens das Regulus motiv, das Lessing nicht erst aus Calderon kennen lernte: Pradons und Metastasios Regulus waren mehrfach übersetzt und gehörten dem Theaterrepertoir an (Goedeke 32, 367. 370); zur tragédie sans femmes war der Stoff besonders geeignet (Bibliothèque du théatre français 1, 242).

Sei dem wie ihm wolle, nicht unwahrscheinlich ist mirs, dass Lessing sich mit Calderons Drama wirklich schon frühzeitig beschäftigt hat. Boxbergers verdienstliche Sammlung der dramatischen Entwürfe Lessings bringt unter Nr. 39 ein Fragment Fenix', dessen Quelle er nicht ermittelt hat. Ich kann nicht zweifeln, dass diese Quelle mit dem Standhaften Prinzen identisch ist oder doch in irgend welcher Beziehung steht. Auch hier sind die Beweisgründe zum Theil recht äusserlich, wodurch ihr Gewicht natürlich nicht gemindert wird.

Bei Lessing tritt die Königstochter Fenix weinend auf, umgeben von ihren Gespielinnen Estela, Nisa und Flora, die sie zu trösten suchen. Ganz ebenso bei Calderon die Königstochter von Fez Fénix mit ihren Frauen Estrella, Zelima, Zara (Flora?) und Rosa (Nisa?). Eine von ihnen, Estela, ist bei Lessing der Prinzessin Freundin und Vertraute, die andern sendet sie hinweg. Ihr berichtet sie, dass eine alte Ver

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abredung der Väter sie dem dummen Prinzen Ramiro von Athen zugesprochen hat; es schimmert durch, sie würde es ohne Schmerz ertragen, seinem jüngern Bruder Fadrique zu gehören. Dieses Motiv, diese ganze Scene fehlt bei Calderon vollständig und beweist, dass Lessings Fenix auch weiterhin andere Bahnen würde gegangen sein als der Standhafte Prinz: immerhin ist auch Calderons Fenix in der Zwangslage, aus politischen Gründen einem Ungeliebten die Hand zu reichen, einem Geliebten zu entsagen; Lessings Ramiro also Tarudante; Lessings Fadrique könnte Muley, könnte aber auch Don Fernando sein. — In Lessings dritter Scene erscheint der König und der Herzog; die bekümmerte Fenix flieht eine Unterredung, welche die kindliche Ehrfurcht gefährden könnte; ihr Vater selbst scheint Mitleid mit ihr zu empfinden. Auch bei Calderon tritt der König zu seiner Tochter, ein Bild des verhassten Werbers ihr zu reichen; auch er ist Zeuge ihres Grams, doch ohne den Grund zu errathen. Die Ankunft seines Generals Muley unterbricht das Gespräch, und Fenix geht nicht fort; Muley erzählt den Verlauf seines Feldzuges. Möglich, dass der Herzog bei Lessing, der in dem kurzen Fragment nicht zu Worte kommt, dem edlen heidnischen Heerführer entspricht.

Die Übereinstimmung der Namen und auch der Situationen ist zu gross, um zufällig zu sein. Andererseits weist die Lessing eigne 2. Scene auf so ganz andre Voraussetzungen hin, dass der Fortgang der Handlung sich anscheinend nur schwer mit Calderon vereinigen lässt. Wollte Lessing neuen Wein in alte Schläuche füllen? Ich fürchte, der alte Inhalt mit seinem starken religiösen Kern wäre kräftiger gewesen. Oder hat Lessing nicht den Principe. constante selbst gekannt, sondern irgend eine wüst ändernde Bearbeitung? Schon Boxberger hat aus dem argen schülerhaften Ungeschick der Sprache geschlossen, es liege eben nur eine unfreie, oft undeutsche Übersetzung (aus dem Französischen?) vor. Dies Ungeschick ist so gross, dass ich Fenix nun und nimmer in die Mitte der sechziger Jahre setzen möchte, wie Boxberger zu wollen scheint: wir müssen, denke ich, mindestens ein Decennium zurück, etwa in die

Zeit, da der federfixe Berliner Litterat ziemlich flüchtige und ungelenke prosaische Thomsonübersetzungen anfing. Vielleicht geben diese Zeilen einem in spanischen oder französischen Dramen Belesenen einen Fingerzeig, der ihn auf die unmittelbare Quelle der Lessingschen Fenix führt; vielleicht gewährt diese Quelle einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Philotas.

Göttingen, 9. Juni 1889.

Gustav Roethe.

Neue Briefe von und über Jerusalem-Werther. Den weitaus bedeutsamsten Beitrag zur Entstehungsgeschichte des 'Werther' lieferte Lottes Sohn A. Kestner 1854 mit der Briefpublication 'Goethe und Werther'. Dies aufschlussreiche Werk, dessen laut zeugende Documente am glänzendsten den immer wiederholten Vorwurf von Goethes Leichtfertigkeit in Liebessachen widerlegen, enthält auch die von Joh. Chr. Kestner an Goethe über den Tod Jerusalems gesandten Nachrichten (S. 86 ff.). Wesentliche Beiträge zum Verständniss von Jerusalems Geschick gab 1874 O. v. Heinemann durch die Veröffentlichung der 'Elf Briefe von Jerusalem-Werther' an Eschenburg (Im neuen Reich Jahrg. 4 Bd. 1 S. 970 ff.). Einen Brief des unglücklichen Jünglings an seinen Vater theilte Wilhelm Herbst 1881 mit (Goethe in Wetzlar S. 65 ff.). Im gleichen Jahre erschien F. Koldeweys actenmässig belegte Lebensskizze von Werthers Urbild' (Lebens- und Charakterbilder S. 167-202).

Schon in den Briefen an Eschenburg trat eine häufig durchbrechende Melancholie zu Tage; im übrigen reichten ihre Bekenntnisse nicht aus, um ein Gegenstück zum 'Werther' zu liefern. In ihrer geistvollen, sprunghaften Beweglichkeit erinnerten sie höchstens an die Zerfahrenheit von Lenz. Auch Herbst citirt seinen Brief nur als Document 'verstimmter Bitterkeit, eines ätzenden Spottes'. Dagegen hat Koldewey die Acten des Herzoglichen Landeshauptarchivs zu Wolfenbüttel in der glücklich durchge

führten Absicht herangezogen, ein vom Roman ungetrübtes Gesammtbild der äusseren Geschichte des jungen Jerusalem zu gewinnen. Hieran anknüpfend, will die nachstehende Veröffentlichung einen tieferen Blick in seine innere Geschichte ermöglichen, um so sein schwankendes Charakterbild zu befestigen.

Sämmtliche hier mit Ausschluss alles Unwesentlichen oder Bekannten abgedruckten Briefe befinden sich im Besitz von Lottes Enkel Georg Kestner in Dresden, welcher die litterarischen Traditionen der Familie pietätvoll wahrt. Die Authenticität der Schriftstücke ist durch Karl Wilhelm Jerusalems Schwester Friederike bezeugt, welche dieselben am 13. December 1832 dem Archivrath Kestner in Hannover verehrte.

1.

[o. O. u. J. Aus einer Universitätsstadt nahe Gera;

also Leipzig zwischen 1765 und 67.]

Lieber Papa

Mein letzter Brief an Sie, lieber Papa, muss mehr Hypochondrie verrathen haben als ich wirklich selber besitze. Ich schliesse es wenigstens aus Ihrer gütigen Antwort, worin sie meine, vielleicht zuweilen zu finstern Gedanken mit so vieler Gründlichkeit widerlegen, dass ich von der Wahrheit dessen, was Sie mir sagen, ebenso überzeugt bin wie ich es von Ihrer ausserordentlichen Gütigkeit alle Ursache zu sein habe. Aber glauben Sie ja nicht, lieber Papa, dass ich finster genug denke, um dasjenige zu fliehn was alle Menschen wenigstens die von meinem Alter sind suchen. Mein lieber Papa, ich weiss wie reitzend Ehrenstellen und Reichthum sind, und ich werde es mir gewiss nie einfallen lassen, weder aus Liebe zum Sonderbaren oder zur Unthätigkeit unempfindlich dagegen zu sein oder sie gar zu fliehn. Ich werde sie suchen und nicht nur blos weil es meine Pflicht ist sie zu suchen, wie Sie mir gezeigt haben, sondern auch aus Selbst-Liebe und vielleicht Ehrgeitz, von dem ich mir ebenso wenig frei zu sein schmeichle als irgend ein ander frei davon ist. Vielleicht würde niemand bei Verachtung weniger philosophische Gelassenheit bezeigen als ich, und dies würde daher auch allein schon für mich ein hinlänglich grosser Bewegungsgrund sein Trägheit und Unthätigkeit zu fliehn und mich auch um das was der grösste Haufe der Welt hochzuachten pflegt zu bemühen. Allein lieber Papa ich werde mich danach bemühen, so wie ich vielleicht unter gewissen Umständen die Gesellschaft eines grossen Herrn der Gesellschaft meines Freundes vorziehn würde, ob ich gleich gewiss

wüsste, dass mir in jener die Zeit lang werden würde; und nicht weil ich glaube dass Ehrenstellen und grosse Güter zu einem glückseligen Leben unumgänglich nöthig sind. Wie ein Zeller oder Rousseau, wie Sie mir schreiben zu leben ist mir der unausstehlichste Gedanke und ich komme mir unter keiner Vorstellung als dieser unerträglicher vor. Aber in dem engern Kreise einer Familie zu leben, die ihr Glück unter einander zu befördern sucht, wahre Freunde zu besitzen, und dabei ein Amt zu haben, dabei sich Gelegenheit findet zu zeigen, dass ich der Welt dienen kann und dass ich meine Bemühung dazu angewendet habe ihr dienen zu können, und mit diesem Amte dem grossen Getümmel der Welt nicht gar zu nahe zu leben, dies ist ungefähr der Begriff, den ich mir von meiner zukünftigen Glückseligkeit mache. Ich würde vielleicht dabei nicht so viele Gelegenheit haben, mich in einem so grossen Grade wohlthätig machen zu können, aber dafür würden sich mir auch mehr geringe Gelegenheiten darbieten, auf die ich bei einem grössern Amte nicht acht geben könnte -Doch vergeben Sie es mir, lieber Papa, dass ich schon wieder angefangen habe zu philosophiren

2.

[An seine Schwester Lotte.]

Wolfenbüttel d. 8. December 1770.

Du hast nun lange genug die Sache von der finstern Seite angesehn, lass sie uns nun auch einmal umkehren: wer wollte nur ein fühlendes Herz haben um nur unangenehme Empfindung leichter zu empfinden! - . . . Es sieht zwar finster in der Welt aus Liebste Lotte Du hast Recht. Aber sie ist nur ein Gemälde im Geschmack von Rembrand auch die Schatten sind schön wenn man sie nur in das gehörige Licht zu bringen weiss

3.

Wetzlar d. 23. September 1771.

Lieber Papa

Ich hoffe dass Sie meine beiden vorhergehenden Briefe, die ich Ihnen aus Göttingen und von hier geschrieben erhalten haben... Mit meinem Gesandten hoffe ich ganz gut fertig zu werden. Er scheint wenigstens kein böser Mann zu sein. Was geht mich das übrige an. Freilich ist er hier leider der Spott fast aller übrigen

Meine Arbeiten habe ich auch nun angefangen die unerträglichste die sich vielleicht denken lässt Täglich des Morgens von 9-12 Uhr und Nachmittags von 3-4 Uhr zu schreiben alles was sich nur schreiben lässt, grösstentheils Dinge bei denen gar nichts zu denken ist, das ist wohl die mühseligste Arbeit von der Welt Doch darüber hilft kein Murren

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