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Verflachung des Theaters und nicht zum mindesten dieser unglaubliche Geschmackswirrwarr im Publikum, — gibt alles dies zusammengefaßt ein Bild, das werth wäre, der Nachwelt überliefert zu werden! Was und wie viel von jener Myriade, die uns alljährlich zum Lesen, Sehen und Hören geboten wird, athmet denn jenen erdfrischen Realismus in der Form, jene Gewalt und Größe in den Ideen, welche ein Werk über die Zeit seines Entstehens hinaus lebendig erhalten, was und wie viel ist denn mehr, als abgestandener Wein, als ausgekernte Schale. Wir haben ein Gastmahl gehabt, so herrlich, wie je eins gewesen; von Licht schimmerte der weite Saal, die Tafeln prangten in der Fülle köstlichster Genüsse, die Gesellschaft war ein blühender Kranz edelster Geister. Welche Gespräche, welche Funken der Anregung, welche Erhabenheit! Doch nun ist es spät geworden, von den Gästen ist einer nach dem andern heimgegangen, die Kerzen brennen trübe und nur hier und da sitzt noch eine Gruppe beisammen, deren Unterhaltung an die verflossenen Stunden erinnert. Schon aber macht sich der Schwarm der Mägde und Bedienten, der Schmaroßer und Bettler im Saale breit, der Schwarm, welcher die Zeit nicht abwarten kann, um über die Reste des Mahles herzufallen. Frisch zu, ihr Harpyien, jetzt ist eure Stunde, noch immer ist es ja ein Gastmahl für euch. Noch immer haben wir ja eine Literatur, aber warum es uns verhchlen, sie hat kein ander Recht auf diesen Namen, als ein Feld, das nur einige wenige ährenschwere Halme, sonst jedoch nichts als Unkraut trägt, auf den Namen Weizenfeld.

Und es wäre demnach begründet, was der Historiker aussagt, daß die deutsche Literatur in regelmäßigem Auf- und Niederwogen sich entwickele, daß jedesmal auf einen Wellenberg ein jäher Absturz folge, und unsre Dichtung wäre demnach auch gegenwärtig wiederum verdammt, auf Jahrhunderte lang tiefer und tiefer zu fallen, unaufhaltsam, unabänderlich!

Alles spricht dafür und nur eins dagegen. Dies Eine ist unser Wille. Nein, wir wollen nicht fatalistisch an ein Unabwendbares glauben, wir wollen nicht mit Bewußtsein unsre Cultur verloren geben und ist gegen das Geschick kein Sieg zu erringen, der Kampf ist unverwehrt. Jede Zeit hat nicht nur das Recht,

sondern geradezu die Pflicht, an eine höhere Mission für sich zu glauben, jedes Geschlecht darf und muß die Unsterblichkeit, die Größe wenigstens erstreben, auf allen andern Gebieten und also auch auf dem der Literatur. Wie aber können wir ernstlich ringen, wenn wir nicht hoffen dürften auf die Zukunft, wenn wir glauben müßten, daß unser keine Höhe, sondern der Abgrund wartet; getrost, und wäre die Zeit noch dreimal trüber, als sie ist, wir leben der Zuversicht, daß es nur Nebel sind, welche die Sonne verhüllen, dämmernde Morgennebel, und nicht die einbrechende Nacht.

wenn

Oder hieße es nicht verzweifeln an unserm Volke, wenn die gewaltige Wiedergeburt der Nation, die Erweiterung und Veredlung unsres kosmischen Denkens und Fühlens, die Erleichterung und Vermehrung unsrer Beziehungen zu den übrigen Culturvölkern, alles dies ohne tiefere, eindringende Befruchtung unsres Phantasieund Empfindungslebens bleiben könnte, hieße es nicht verzweifeln? Das Genie können wir freilich nicht dekretiren, aber wir können ihm den Boden bereiten und thätig abwarten, ob der Himmel Regen und Sonnenlicht bescheert.

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Zwei Worte sind es, mit welchen sich die Aufgaben des Ackerers wie des Kritikers genügend bezeichnen lassen: Pflügen und Pflegen. Das Erdreich zu durchfurchen, es von Steinen zu befreien und das Unkraut auszujäten, das ist die eine Pflicht, die aufsprossenden Pflanzen zu warten und zu schirmen, die andre. Hinweg also mit der schmarogenden Mittelmäßigkeit, hinweg alle Greisenhaftigkeit und alle Blasirtheit, hinweg das verlogene Recensententhum, hinweg mit der Gleichgültigkeit des Publikums und hinweg mit allem sonstigen Geröll und Gerümpel. Reißen wir die jungen Geister los aus dem Banne, der sie umfängt, machen wir ihnen Luft und Muth, sagen wir ihnen, daß das Heil nicht aus Egypten und Hellas kommt, sondern daß sie schaffen müssen aus der germanischen Volksseele heraus, daß wir einer echt nationalen Dichtung bedürfen, nicht dem Stoffe nach, sondern dem Geiste, daß es wieder anzuknüpfen gilt an den jungen Goethe und seine Zeit und daß wir keine weitere Formenglätte brauchen, sondern mehr Tiefe, mehr Gluth, mehr Größe.

In his signis pugnabimus, nur um solcher Ziele willen wagen wir es, uns ein eigenes Organ zu schaffen und theilzunehmen an dem Kampfe, der entbrennen muß und auch an einzelnen Stellen bereits zum Ausbruch gekommen ist. Die Personen, die wir befehden, sind uns als solche entweder gleichgültig oder sie stehen uns vielleicht als Menschen sogar nahe, was wir in ihnen angreifen, das ist die verderbliche Schwäche, der verderbliche Einfluß, die verderbliche Negation.

Uebrigens sagt schon ein Größerer als wir: Ein kritischer Schriftsteller suche sich nur erst jemanden, mit dem er streiten kann, so kommt er nach und nach in die Materie. Wem diese Methode aber etwan mehr muthwillig als gründlich scheinen wollte, der soll wissen, daß selbst der gründliche Aristoteles sich ihrer fast immer bedient hat. Solet Aristoteles, sagt einer von seinen Auslegern, quaerere pugnam in suis libris.

Und, fügen wir hinzu, kein Kampf in der Welt ist eine bloße Negation; indem man das eine, das Gegnerische bekämpft, vertheidigt man ein anderes, dessen Sieg man wünscht; so ist es auch mit aller wahren Kritik, sie zerstört, um einem Besseren Platz zu machen.

Im Uebrigen aber nichts für ungut, verehrtes Publikum, wenn wir gleich mit dem Lessing und dem Aristoteles bei der Hand sind, - die Kritischen Waffengänge" werden hoffentlich dem verehrten noch manche Ueberraschung bereiten.

Der Dramatiker Heinrich Kruse.

Nicht ohne Grund gebraucht man heuer so gern den Ausdruck Büchermarkt, die Literatur ist wirklich zu einem Geschäft geworden und es dürfte nicht lange mehr dauern, bis die hervorragenderen Romanund Schauspielfabriken auf dem Curszettel prangen werden. Die eine unsrer Berühmtheiten macht in egyptischen, die andre in deutschen Culturbildern der Vorzeit, die dritte wetteifert mit dem Ritter von Tannhusen in Minne, Aventiuren und Naturlauten und — Heinrich Kruse, nun, Heinrich Kruse macht in hohen Tragödien. Seit anderthalb Dezennien beglückt dieser Mann Jahrein Jahraus unser Publikum mit fünfaktigen Trauerspielen, historischen Trauerspielen, alle einförmig wie ihr Druck und ihr Gewand, mit andren Worten, ein Plazregen von etwa fünfzigtausend fünffüßigen Jamben hat die Literatur der Gegenwart überfluthet und da breitet sich nun der Tümpel aus, grau, öd und leer. Als Kruse sein erstes Drama der Welt zum Angebinde machte, hatte er das fünfzigste Lebensjahr gerade überschritten (die Zahl 5 scheint bei Kruse verhängnißvoll zu sein), also das Jahr, das Schiller und Kleist nicht erreicht, in welchem Shakespeare und Lessing jeder nur zwei Schritte noch vom legten Erdenziel entfernt waren. Ist das ein Zufall? Ich glaube nicht. Drama heißt Handlung, heißt That, heißt Energie und das sind Dinge, welche sich gern mit knospender oder blühender Männlichkeit vereinen, die aber selten erst mit der Dämmerung des Lebens, mit dem Grauwerden des Haares hervorzutreten pflegen. Doch der Erfolg spricht für Kruse; seine Tragödien bleiben zwar vom Theater so ziemlich ausgeschlossen, aber sie bringen es in Buchform zu einer Auflage nach der andern, der „Gräfin“ wurden die Ehren eines Schillerpreises zweiter Ordnung zu Theil, die Literarhistoriker nennen

Kruse gleich nach Hebbel, Ludwig, Wilbrandt und die Kritik hat in ihm einen nationalen Heros entdeckt. Beugt sich doch selbst Paul Lindau, der Kämpe des Conversationsdramas, vor ihm und hat doch einer von der Clique in der Verzweiflung, Kruse zu rubriziren, geradezu den Raptus bekommen, wenn er, um ihn zu verhimmeln, ernsthaft zu verhimmeln, seinen Stil als einen Compromiß zwischen Pathos und Trivialität bezeichnet. Warum auch nicht? Ist es doch längst kein Geheimniß mehr, daß ein ganzes Jahrhundert für die Masse unsrer Kritik umsonst gedacht und geschrieben hat, die Masse hat nichts gelernt oder alles vergessen.

Jedenfalls - Heinrich Kruse ist ein literarischer Prinzeps geworden und wer es mit unsrer Literatur gut meint, der hat deshalb die Pflicht, zu untersuchen, ob diese Pflanze, die unter uns in die Höhe geschossen ist, Frucht und Segen trägt, oder ob sie ein Wuchergewächs bildet, das edleren Keimen Licht und Erdreich entzieht. Wenn nichts andres, jenes Gutmeinen darf ich für mich in Anspruch nehmen, gewiß, und daher gehe ich ohne Zaudern daran, zu prüfen, ob Herr Kruse recht gethan hat, vom Leitartikeln zum Dichten überzugehen, und ob es ein größerer Gewinn für uns war, daß er fünfzig Jahre lang geschwiegen oder daß er in fünfzehn Jahren sein Schweigen dreifach wettgemacht hat. Zu diesem Zwecke alle Tragödien, die seiner Feder entquollen sind, jede einzeln zu untersuchen, das muß man mir freilich erlassen, denn die Geduld des Menschen hat ihre Grenze und der Gedanke allein an fünfzigtausend glatte, ebenmäßig in breitester Geschwätigkeit hinfließende Jambensträhne ruft Schauder hervor. Aber ich werde sehr zuvorkommend sein, ich werde mich Herrn Kruse nicht nähern auf einer Seite, wo er von jeder Deckung entblößt ist, ich werde nicht etwa ein Drama seziren, wie die „Gräfin“, deren „Compromißstil“ in dem Verse gipfelt „ Sie starb an Engelmann und ihrer Liebe", wie den „Brutus", der aus Shakespeare schöpft gleich einem Knaben, der mit der Muschel das Meer ausschöpfen möchte, wie den „Wullenwever", in dem jede Zeile den Abstand predigt zwischen Wollen und Können oder gar wie den endlos unendlichen König Erich" nein, ich wähle die „Rosamunde“, die im Mittelpunkte des Kruse'schen Schaffens steht (sie erschien 1878), die noch das beste Gefüge, die beste Charakteristik,

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