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Denken hingezogen, wenn ihn die Sprache an scharfe Sonderung der grammatischen Formen gewöhnt.“

IX. Die Prosa des deutschen Umgangslebens.

Die künstlerischen Geseze, nach denen die geschriebene Prosa sich bildet, haben auf die Sprache des wirklichen Lebens in Deutschland keine Anwendung. Beide stehen abgerissen von einander und ge= trennt sich gegenüber, obwohl die bedeutsamfte Beziehung zwischen ihnen anzuknüpfen wäre. Bevor wir die Kunst der productiven Prosa erörtern, dürfte es interessant sein, auf die Prosa der deutschen Conversation einen Blick zu werfen, und von unserem Gesellschaftszustand, in seinem Verhältniß zur Sprache, eine Andeutung zu geben.

Wessels bekannte Parodie:,, Liebe ohne Strümpfe" wurde von Scalabrini in Musik gesezt, ohne daß diefer italienische Componist auch nur ein Wort von dem dänischen Terte verstanden hätte. Eine ähnliche Parodie mit Harmoniezwang wird noch heut alle Abende in unserer Gesellschaftsunterhaltung aufgeführt. Die bodenlose deutsche Höflichkeit gleicht

jener Liebe ohne Strümpfe, ihr Tert ist eine Travestie, und der Maestro, den man bon ton nennt, hat, um Sinn, Wort- und Menschenverstand ganz unbekümmert, eine Musik daraus gemacht, in dem bekannten Grundsaß: Quand le bon ton parait, le bon sens se retire. Diese Composition, die uns als deutsche Gesellschaftssprache an die Ohren schlägt, ist, wie ich beweisen werde, eine verderbte Grammatik, eine verderbte Logik, ein verderbtes Menschengefühl und eine verderbte Natur; aber sie ist nichtsdestoweniger Musik, und für den gewohnten Umgangsverkehr unsere einzige Lebensmelodie, die einzige anerkannte Tanzregel, nach der man sich nicht nur dreht, sondern auch denkt.

Man hat noch nicht die Geschichte der deutschen Höflichkeitssprache geschrieben. Und doch ist es bei ihrer Betrachtung der größte Trost, daß sie eine Geschichte hat, mithin ebenso gut einer Verbesserung in aufsteigender Linie fähig ist, als sie in absteigender eine Verderbung erlitten. Ich sehe schon das staunende Lächeln eines unserer Nachkommen, die ich mir als so glückliche Menschen träume, daß sie die höchste Cultur zur höchsten Natur in sich zurückgebildet haben! Was werden diese kräftigen Naturmenschen künftiger cultivirter Staaten dazu sagen, wenn fie Nachgrabungen auf unserer verschütteten Zeit an

stellen, wie wir heut Mammuthsgerippe aus urweltlichen Erdschichten hervorziehen, und sie dann, vor Schreck den grammatischen und logischen Spaten, mit dem sie uns durchgruben, sinken lassend, etwa folgenden räthselhaften Eselskinnbackenknochen einer vormaligen deutschen Gesellschaftsunterhaltung in die Hände bekommen, eine Fossilie, die heutzutage, mit frischem schönem Fleisch bekleidet, als Symbol und Physiognomie eines wohlerzogenen Gesprächs angesehen werden muß:

Abgehorch t.

(Verlin, 11. ** 183.)

Junger Herr.

Haben gnädiges Fräulein schon das neueste Werk vom geistreichen Rummelsburg gelesen?

Junge Dame.

Ihnen zu dienen.

Junger Herr.

Gnädiges Fräulein erweisen mir allerdings einen Dienst damit, denn nun werden Sie mich beeh

ren, Ihr Urtheil hören zu dürfen.

Junge Dame.

Sie verzeihen.

Junger Herr.

Sie haben Recht und ich glaube Sie zu verstehen. Fräulein meinen, es sei unverzeihlich, über einen solchen Autor zu kritisiren.

Sehr wahr.

Junge Dame.

Junger Herr.

Ich möchte aber dennoch um Entschuldigung bitten, und eine Seite an unserm großen Rummelsburg hervorheben, die merkwürdig ist, wenn Sie erlauben, seine allzumaterielle Behandlung der Liebe.

Junge Dame. (crröthend)

Gewiß. Man dürfte nicht ermangeln, Ihnen hierin beizustimmen (— fie fångt hastig an zu stricken.) Junger Herr. (mit halber Stimme)

Und haben Sie niemals geliebt, Fräulein?

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Junger Herr.

Verzeihen Sie selbst vielmehr, wenn ich zu dreist

gewesen

Junge Dame. (zu ihrer Nachbarin leise ins Dhr.)

Ich finde, daß er viel Geist hat. Man kann sich recht gegen ihn aussprechen.

Junger Herr. (zu seinem Nachbar leise ins Ohr.)

Ich finde, daß sie gar nicht so übel ist. Hins ter ihren Redensarten lauert ohne Zweifel viel Geist versteckt.

*

Dieser flüchtige Küchenzettel einer gewiß ganz normalen Unterhaltung zeigt die meisten und geläu figsten Formeln, auch in grammatischer Hinsicht, auf, in denen sich die deutsche Umgangs- und Höflich. keitssprache auf ihrer gegenwärtigen Stufe bewegt. Sie ist zu dieser abenteuerlichen Pedanterie erst all, mählig gelangt, und der Sprachforscher, welcher eine gesellschaftliche Grammatik zusammenstellt, müßte nothgedrungen zum Satiriker werden, wenn er nicht zu bedenken hätte, daß der innere Geist der Nation selbst gesünder und kernhafter ist, als sein äußeres Umgangsleben, das hinter diesen verstauchten Formen einer gemüthlosen Gutmüthigkeit und einer

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