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Einleitung.

1. Die Bedeutung von Herders Philosophie.

Wer in dem logischen und systematischen Zusammenschluß aller Einzelgedanken den einzigen Maßstab der philosophischen Bedeutung eines Mannes erblickt, wer nur solche Männer als Philosophen wertet, die ein weltumspannendes und weltbewegendes System geschmiedet haben, der sollte seine Hand von Herder lassen. Auch die vielfach üblich gewordene Orientierung des philosophischen Urteils an Kant führt hier zu keinem oder einem falschen Ergebnis.

Aber es gibt eine tiefere Art, die Geschichte der Philosophie zu betrachten. Für sie ist der Boden, aus dem eine Blüte erwächst, ebenso wichtig wie diese selbst, das Keimen und Wachsen ebenso wertvoll wie die Frucht. Sie vermag auch der Philosophie Herders gerecht zu werden; denn Herder faßte wie keiner von seinen vielen bedeutenden Zeitgenossen die Stimmungen und Gedanken in sich zusammen, die damals in den führenden Kreisen der deutschen Bildungswelt herrschten; nur dem Kritizismus Kants blieb er völlig fern und fremd. Er konnte es, weil sein Herz einen seltenen Reichtum von Empfindungen barg. Zumal die ästhetische und religiöse Empfindung sind bei ihm, wie allezeit, Hebel der philosophischen Gedanken gewesen. Was in Frankreich ein Montesquieu, Rousseau, Voltaire oder Diderot, in England ein Bacon, Shaftesbury oder Hume erarbeitet hatten, das verschmolz er mit den gewaltigen Anregungen, die in Deutschland allenthalben emporsproẞten. Der Pietismus war ihm so gut bekannt wie die Aufklärung. An Lessing, Winckelmann und den vorkritischen Kant knüpfte er an, aber auch an Hamann, den nordischen Magus. Die Grundlage seiner philo

sophischen Bildung ist zweifellos Leibniz, aber nicht der durch Wolff verwässerte, sondern der echte Leibniz. In ihm fand er eine Stütze vor allem für den Zusammenhang von Geist und sinnlicher Natur, für die Betonung der dunklen Seelentiefen; auf ihn konnte er seine lebendige Teilnahme für alles Individuelle, Besondere gründen. Daneben aber entdeckte er Spinoza und sog aus ihm Befriedigung für die Sehnsucht seines Gemüts nach einheitlicher Zusammenfassung des unendlich gegliederten Weltalls. So wurde er unabhängig von Lessing und zugleich mit ihm der Herold jenes neuen deutschen Spinozismus, den man mit ähnlichem Recht oder Unrecht auch nach Leibniz nennen dürfte. Überall konnte er sich einfühlen und so seinen Geist von allen Seiten her bereichern.

Je reicher ein Geist erscheint, desto schwerer wird es ihm, Klarheit und Einheitlichkeit zu erringen oder zu wahren. Herder hat sie weder als Mitgift der Natur empfangen, noch hat er Gelegenheit gefunden, durch innere Arbeit diesen Mangel zu überwinden. Darum sind Zerrissenheit, Gedankensprünge, Widersprüche, unwillkürliche Brücken der bloßen Empfindung über gähnende Abgründe des Denkens hinweg geradezu Kennzeichen seiner Schriften; erst spät in der Zeit der engsten Freundschaft mit Goethe, hat er wenigstens versucht, das zu bessern; völlig geglückt ist es ihm nie. Wir werden das für seine Stimmung und für die Lebensdauer seiner Werke beklagen; aber wenn wir gerecht sein wollen, werden wir anerkennen müssen, daß es eine natürliche Begleiterscheinung seiner gewaltigen Größe ist. Vor allem der Vergleich mit Lessing, Goethe und Kant schadet dem Andenken Herders. Aber Goethe stand auf seinen Schultern, hatte es also leichter, nach dem hohen Ziel formaler Reife zu greifen. Kant war einseitiger, innerlich weniger reich so konnte er alle Kraft auf die geniale Durchbildung der einen Seite wenden. Für Lessing gilt bis zu einem gewissen Grad dasselbe; zudem hat er mit klarem Bewußtsein umfassende Werke vermieden. Sollte jemand wünschen, daß Herder in der Erkenntnis seiner Schwäche seine größten Pläne als solche mit ins Grab genommen hätte?

So kommt es denn, daß Herders philosophische Bedeutung nicht in einem bestimmten großen Werke gipfelt.

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Er hat nur selten im eigentlichen Sinne Philosophisches geschrieben. Dafür hat er auch wenig geschrieben, was nicht irgendwie philosophisch mitbedingt wäre. Jeden Einzelgedanken beleuchtet er von den Mittelpunkten her, die ihm geläufig sind. In alles gießt er die Fülle und Wucht seiner reichen Empfindung. Darum gilt es, den gesamten geistigen Gehalt seines Lebens für die Auswahl und die Beurteilung heranzuziehen. Erst so ergibt sich ein Bild, das ebenso durch seine überall hervortretenden Grundzüge wie durch seine Widersprüche und Unklarheiten die eigentümliche Philosophie des Mannes und seiner Zeit spiegelt.

Aber Herder ist nicht nur als Typus der philosophischen Gesamtstimmung, sondern auch als wirkende Macht von der größten Bedeutung. Wir dürfen ihn als denjenigen Mann betrachten, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die breiteste und tiefste Wirkung entfaltet hat. Im Bunde mit einer Reihe anderer Führer hat er die deutsche Bildung über die Linie der Aufklärung hinausgehoben. Weil er innerlich so reich war, fühlte jeder eine verwandte Saite in ihm klingen und öffnete ihm sein Ohr. Abgesehen davon, daß mannigfaltige persönliche Lebenskräfte von ihm auströmten, die das moderne Lebensideal gerade in seinen besten Seiten verwirklichen halfen, hat er fast jede Wissenschaft befruchtet. Nirgends ganz ein Mann der Zunft, und deshalb von den Zunftgelehrten überall als Dilettant verschrien, konnte er die Fachwissenschaften für einen Augenblick aus ihrer Vereinzelung erheben und durch wechselseitige Berührung lebendiger, fruchtbarer machen. Damit aber strömten auch seine philosophischen Gedanken unwillkürlich nach allen Seiten auf andere über. Theologie, Asthetik, Geschichtschreibung, Naturwissenschaft sie alle wissen davon zu erzählen. Sogar die Wissenschaft vom Recht und Staat, die ihm persönlich nur allzu fern lag, konnte reiche Anregung für die Ausbildung ihrer Grundsätze, für die Überwindung des Naturrechts von ihm empfangen.*)

*) Vergleiche z. B. Ehrenberg, Herders Bedeutung für die Rechtswissenschaft (Göttinger Festrede zum 27. I. 1903) oder Gierke, Die historische Rechtsschule und die Germanisten (Gedächtnisrede zur Stiftung der Berliner Universität 1903).

Die Früchte der großen Bewegung des Sturmes und Dranges, die Auswirkungen Goethes, die Romantik sind zu einem guten Teil aus dem Einfluß Herders erwachsen und haben seine Gedanken weiter getragen. Und wenn wir den raschen Übergang der allgemeinen philosophischen Stimmung von dem erst so sieghaft vorwärtsschreitenden Kritizismus zum Idealismus staunend beobachten, so dürfen wir als sicher betrachten, daß da neben andern Keimen auch die Saat Herders einen neuen Frühling und eine Ernte erlebte.

Freilich war die Anregung so vielverzweigt und oft so stimmungsmäßig, daß sie den Empfängern zuweilen gar nicht oder doch nur unklar zum Bewußtsein kam. Sie war selber noch im Fluß und drängte deshalb weiter. War Herder für seine Person zu solchem Fortschritt nicht mehr fähig, so schadete das der Kraft seiner Gedanken nur wenig. Seine Gedanken rissen sich los von seiner Person und trugen seinen Geist weiter ohne seinen Namen. Schon Goethe hat für das Gebiet der Geschichtsphilosophie diese Bemerkung geäußert. Aber sie gilt für alle Gebiete. Daher konnte das Merkwürdige geschehen, daß Herder von denen verlästert wurde, die am meisten von seinen Verdiensten zehrten, vor allem von den Romantikern. Erst allmählich hat das 19. Jahrhundert erkannt, daß es hier einen Fehler wett machen mußte. Je genauer man die Entwicklung untersuchen wird, die das deutsche Geistesleben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts genommen hat, desto mehr wird man auch der Persönlichkeit und der Einwirkung Herders philosophisch ihre Ehre geben; man braucht deshalb nicht ungerecht zu werden gegen den weitaus größeren Meister der Philosophie, neben den sein persönlicher Unstern ihn gestellt hat, gegen Kant.

2. Leben und philosophische Entwicklung Herders.

Ist die vorstehende Charakteristik von Herders Philosophie berechtigt, so müssen wir zunächst einen kurzen Blick auf sein Leben und auf seine philosophische Entwicklung werfen. Die Beziehungen zu Kant sollen dabei nur angedeutet, im einzelnen aber für einen besondern Abschnitt aufgespart werden.

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