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AD. VI, 1

Mittelpunkt in Handel und Kultur.

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stadt erscheint hier deutlich in ihrer Rolle als Vermittlerin des Verkehrs der östlichen und westlichen Welt. Mag auch der unmittelbare Verkehr der Könige so weit auseinander liegender Länder eine Ausnahme gebildet haben, so liegt hier doch ein Zeugnis vor, welches größere weltgeschichtliche Bedeutung hat als die ausführlichen Berichte über die wichtigsten Eroberungen. Diese Gesandtschaften gingen Wege, welche der Handel und die Kultur regelmäßig zurücklegten.

Die Ergänzung hierzu bildet ein anderes Ereignis derselben Zeit, welche Marduks Stadt und Lehre als die geistige Beherrscherin der damaligen Kulturwelt im hellsten Lichte zeigt. Einer der lezten Könige dieser Zeit der Zerrissenheit war Nabunaßir, der Nabonassar der griechischen Überlieferung. Er ist politisch ebenso unbedeutend wie irgend einer seiner unmittelbaren Vorgänger, und in den 14 Jahren seiner Regierung hat es politisch in Babylon und Babylonien nicht anders ausgesehen als uns die Urkunde aus Borsippa schildert. Die babylonische Chronik weiß von ihm gar nichts zu berichten. Aber eine Nachricht ist durch die griechische Überlieferung auf uns gekommen, die lange rätselhaft, erst jüngst verständlich geworden ist: er habe alle Urkunden seiner Vorgänger zerbrechen lassen, damit von ihm aus gerechnet werde. Das ist nichts als die legendarische Einkleidung für die Einführung einer neuen Zeitrechnung, eines neuen Kalenders. Im 8. Jahrhundert war der Punkt der Frühjahrstagesgleiche bereits in den Widder gerückt und die auf das Stierzeitalter gestimmte Rechnung nicht mehr durchführbar. Das erste Zeichen des Tierkreises, in welches die Sonne in der Tagesgleiche eintrat, war nicht mehr der Stier, sondern der Widder. Die Himmels= karte, der ganze Kalender und alles was im großen Zusammenhange der babylonischen Lehre dazu in Beziehungen stand, mußte also in diesem Sinne neu durchgesehen und in Einklang gebracht werden. Diese Maßregel wurde unter seiner Regierung durchgeführt, und wie Gregor XIII. ist er durch seine Kalenderreform unsterblich geworden.

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Welche Bedeutung Babylon und seine Lehre für die Wissenschaft des Altertums und damit der Menschheit überhaupt hatte, geht daraus hervor, daß alle Astronomie auf die „Ära Nabonassars“ Bezug nimmt und von seinem Anfangsjahre 747 v. Chr. an ein neues Zeitalter rechnet. Ptolemaeus hat seine Berechnungen darauf begründet und sie hat bestanden, solange die astronomischen Lehren

1) Jm selben Sinne wie die Legende Sargons S. 14. Diese Legende tehrt im gleichen Sinne auch sonst in China und im Islam wieder. 2) AD. III, 2/3a G. 32.

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Nabonassar. Tiglat-Pileser III.

AO. VI, 1 des Altertums galten. Noch heute zählen wir die Tierkreiszeichen in der jezt schon nicht mehr zutreffenden, mit dem Widder beginnenden Reihe auf. Babylon war troh seiner politischen Ohnmacht der geistige Mittelpunkt einer Kulturwelt, die viel mehr umfaßte, als je zu einem politischen Verbande gehört hat.

Nabonassars Regierung muß immerhin für Babylon eine Zeit verhältnismäßiger Ruhe gewesen sein, sonst wäre auch wohl der Gedanke an ein großes Kulturwerk nicht aufgekommen. Diese Ruhe war von den Zuständen in Assyrien abhängig und hier hatte fast gleichzeitig eine neue Zeit mit dem Regierungsantritte TiglatBilesers III. (745 Nabonassars 3. Jahre) begonnen. Gleich zu Anfang züchtigte der neue König, unter dem Assyrien schnell seine alte Machtstellung zurückgewann, die Aramäer- und Chaldäerstämme Nordbabyloniens und zweifellos hat Nabonassar unter seinem Schuße regiert.

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Mit der Regierung Tiglat-Pilesers beginnt das neuassyrische Reich, die Zeit der Vorherrschaft Assyriens in Vorderasien bis zum Falle Ninives im Jahre 606. Von nun an sind wir meist genauer über die Ereignisse unterrichtet und können auch die Zusammenhänge im einzelnen verfolgen. Babylons Geschichte wird mehr als je durch die Assyriens bestimmt. Die Blüte und die geordneten Zustände, welche die Folge einer starken Regierung sind, kommen auch ihm zu statten, mit seinem Wohlstande wachsen aber auch jedesmal seine Ansprüche. Es ist nur natürlich, daß die Stadt, welche geistig die erste Rolle spielt und die von Assyrien aus in ihren Ansprüchen geschützt wird, auch politisch nach Unabhängigkeit und dann nach der Herrschaft trachtet. Dazwischen spielen dann immer wieder die Versuche von Chaldäerfürsten, aus eigener Kraft und mit Elams Hilfe sich auf den Thron der Weltstadt zu schwingen. Denn auch Elam fängt gerade wie Assyrien an, jezt wieder über seine Grenzen hinauszugreifen.

Nach kurzen Zwischenregierungen, welche auf die Nabonassars folgten, hatte in Babylon wieder ein Chaldäerfürst sich zum König gemacht, der sich drei Jahre behauptete, bis Tiglat-Pileser nach der Unterwerfung des Westens (Damaskus) freie Hand für Babylonien hatte. Ukin-zir, der Chaldäer, wurde 730 vertrieben und Tiglat-Pileser ließ sich nun selbst zum König von Babylon ausrufen. Es war ein merkwürdiger Ausweg, der diesmal gewählt wurde, um der Königsstadt Marduks ihren Anspruch auf Selbständigkeit zu sichern und sie keinem König eines fremden Landes zu unterstellen. Als

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Sargon in Babylon.

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König von Babylon führte Tiglat-Pileser einen andern Namen,1 wie als König von Assyrien. Er nannte sich Pulu. Dieselbe Form der Personalunion hat dann sein Sohn Salmanassar (als König von Babylon Ululai) und später Assurbanipal (Kandalanu) durchgeführt. Tiglat-Pileser hat noch zwei Jahre regiert, dann hat nach seinem Tode sein Sohn Salmanassar-Ululai fünf Jahre den Thron von Assyrien und Babylon inne gehabt.

Der Umsturz in Assyrien, welcher mit Sargon II. eine neue Dynastie auf den Thron brachte, führte auch in Babylon zu einer Umwälzung, deren Ergebnis natürlich wieder ein Chaldäer als König war. Es war diesmal der Fürst des „Meerlandes“, Merodach-Baladan, der fast gleichzeitig mit Sargon als König ausgerufen wurde (721). Sargons erste Maßregel war der Versuch ihn zu vertreiben, allein die Schlacht bei Dur-ilu in Nordbabylonien fiel so aus, daß er auf das Königreich Babylon und den Süden vorläufig verzichten mußte. Er wandte sich zunächst der Befestigung seiner Herrschaft im Norden und Westen zu, und während dieser Zeit hat Merodach - Baladan (721-710) ungestört im Bunde mit Elam sich behaupten können.

Erst nachdem Sargon sich den Westen gesichert und Armeniens Macht gebrochen hatte, wandte er sich gegen Merodach-Baladan. Sargon war von der Priesterschaft seines Landes unterstüßt und ist auch in Babylonien von dieser Seite aus gefördert worden. Nachdem er seinen Gegner einmal geschlagen, räumte dieser Babylon ohne weiteres, um im Süden und in seinem Stammlande den Widerstand noch ein paar Jahre fortzusehen. Sargon wurde in Babylon als Befreier von seiner Partei empfangen und hat sich durch Bestätigung der Vorrechte und Einkünfte der Tempel in Babylon und in den übrigen alten Kultstädten als einen richtigen König von Babylon und Sumer und Akkad gezeigt. Auch er ließ sich zum König von Babylon ausrufen, hat aber diesen Titel dann wohl wegen der Schwierigkeit der damit verbundenen zeremoniellen Verpflichtungen (S. 29) nicht geführt, sondern sich, wie es in Ausnahmefällen zu geschehen pflegte (S. 33), nur als „Statthalter von Babylon" bezeichnet. Die noch übrigen fünf Jahre seiner Regierung hatte Marduks Stadt und Priesterschaft Ruhe und gute Tage.

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1) Dem Namen wohnt nach orientalischer Anschauung eine besondere Bedeutung inne, er macht das Wesen der Person aus. Mit Namen gerufen werden" heißt „in die Erscheinung treten, Leben erhalten". Man vgl. 1 Mos. 2, 19, wo die Tiere vom Menschen benannt, und damit ihm zu eigen gegeben werden. Vgl. auch Jes. 43, 1.

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Sanherib.

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Sein Tod, der gelegentlich eines unglücklichen Feldzuges stattgefunden zu haben scheint, gab Merodach-Baladan sofort Gelegen= heit sich in Babylon wieder festzuseßen (704). Sanherib, der neue König, wandte sich aber sofort gegen ihn und nach nur neunmonatiger Dauer seiner Herrschaft mußte er zum zweiten Male auf Babylon verzichten, nachdem er mitsamt einem elamitischen Hilfsheere ge= schlagen worden war.

Sanherib muß auch in Assyrien von einer Partei getragen worden sein, welche im Gegensah zu Sargons priesterfreundlicher Politik stand. Seine ganze Regierung zeigt eine Reihe von Maßnahmen, die gegen Babylons Vorrechte und Übergewicht gerichtet waren und schließlich in der Vernichtung der Stadt gipfeln. Der Ausbau Ninives als neuer prächtiger Residenz zeigt, wohin die Bestrebungen gingen: Ninive und Assyrien sollten in jeder Beziehung die erste Stellung einnehmen und darum mußte Babylon herabgedrückt werden. Es war im Geiste orientalischer Weltanschauung (vgl. S. 9), wenn Sanherib sich als den Adapa, den Mensch gewordenen Gott eines neuen Zeitalters, fühlte.

Zunächst, da die Stadt sich nichts hatte zu schulden kommen lassen, behielt sie ihre Verfassung. Sanherib sezte nur einen Mann auf den Thron, der ihm ergeben war. Es war ein in Assyrien erzogener babylonischer Prinz - es ist freilich schwer zu sagen, was in Babylon die Königsfamilie nach all den vorhergegangenen Wirren war. Aber Bel-ibni (702—700) wurde durch die Macht der Tatfachen oder der Parteien gezwungen diejenige Politik zu verfolgen, welche Babylon vom Einflusse Assyriens befreien sollte. Während Sanherib in Palästina beschäftigt war und Jerusalem vergeblich belagerte (701), mußte er seinen Abfall erklären. Das rettete Jerusalem, aber nicht Babylon. Sanherib brach schnell auf, da der Westen doch beruhigt war, und wandte sich nach Babylonien, wo er die chaldäischen, aramäischen und elamitischen Bundesgenossen auseinanderjagte und statt des wieder nach Assyrien mitgenommenen Bel-ibni seinen Sohn Assur-nadin-schum (699—694) als König von Babylon einsetzte. Die assyrische Herrschaft im Süden war aber stets umstritten und es bedurfte fortgesetter Kämpfe um hier die Chaldäer, namentlich das „Meerland“ niederzuhalten. Auch Elam benuzte jede Gelegenheit, um wieder einzugreifen, und so kam es schließlich zu einem Einfall eines elamitischen Heeres, wobei Sippar, die alte Sonnenstadt zerstört, Assur-nadin-schum gefangen nach Elam geführt und diesmal ein Babylonier Nergal-uschezib auf den Thron

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Babylons Zerstörung.

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von Babylon gesezt wurde. Das heißt Elam hatte einmal wieder über Assur in Babylon den Sieg davongetragen. Allerdings konnte der neue König sich gegen die assyrischen Heere nicht behaupten, und fiel ihnen nach anderthalbjähriger Regierung (694/93) in die Hände. Aber während Sanherib auf einem Rachezug nach Elam begriffen war, benußte wieder ein Chaldäer Muschezib-Marduk die Gelegenheit, um sich zum Herrn der Stadt Babylon zu machen. Durch Aufopferung der Tempelschäße von Sagila1 erkaufte er sich die Anerkennung Elams und behauptete sich vier Jahre (692—688). Ein erster Versuch Sanheribs Babylon zurückzuerobern (690) mißlang. In einer Schlacht bei Chalule in Nordbabylonien, die er gewonnen haben will, die aber die babylonische Chronik als einen Sieg der Babylonier bezeichnet, vermochte er gegen die elamitische Macht nichts auszurichten. Erst im folgenden Jahre (689) konnte er nach einem Thronwechsel in Elam den von dem neuen König augenscheinlich im Stich gelassenen Muschezib-Marduk niederwerfen.

Diesmal schüßte die alte Gottes- und Königsstadt kein Ansehen und kein Vorrecht. Es ist eines, vielleicht das einzige Beispiel, wo innerhalb des alten Kulturbereiches eine der alten Götterstädte von einem Herrscher zerstört wird, der sich als König dieser Kultur, wir würden sagen als zivilisierten Monarchen fühlt. Die eigentlichen Beweggründe Sanheribs fennen wir, die Veranlassungen zeigen die Ereignisse der gesamten Geschichte. Der Vorwand, die formale Rechtsverletzung durch Babylon, welche den rechtlichen Grund zur Zerstörung abgab, muß in dem Festhalten an Muschezib-Marduk bis zur gewaltsamen Eroberung durch das assyrische Heer gelegen haben.

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Das ist die Zerstörung Babylons, die einzige, welche die Stadt Marduks über sich hat ergehen lassen. Nach Sanheribs Schilderung ist sie sehr gründlich gewesen, nach Zerstörung der Gebäude wurde das Euphratwasser aus dem Hauptkanale Arachtu über das Gebiet der Stadt gelassen, um es unbewohnbar zu machen. Die Götter, vor allem Marduk, wurden nach Assur geführt, die Stadt Babylon sollte als Wohnstätte von Göttern und Herrschern nicht mehr bestehen. Denkmäler einer zweitausendjährigen Kultur, welche sich erhalten hatten (S. 33), sind dabei vernichtet worden. Nur Zufallsfunde könnten in Babylon Denkmäler und Zeugnisse aus der Blütezeit

1) Der Marduktempel s. AD. V, 4 S. 19 ff. oben S. 16.
2) AD. V,4 S. 28.

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