Der Islam und seine Völker. Eine religions-, cultur- und zeitgeschichtliche Skizze. Von Morik Lüttke. 1835 Gütersloh. Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 1 8 7 8. Vorwort. Die hier vorliegende Schrift stüßt sich in denjenigen Abschnitten, welche Geschichte und Lehre des Islam behandeln, einestheils auf die über den Gegenstand vorhandene Literatur und ich nenne in dieser Beziehung die Werke von G. Weil, A. Sprenger, Alfr. v. Kremer, Jul. Braun, Eman. Deutsch, John Arnold, Herm. Vambery, Jules Reymond anderntheils und vorzugsweise auf den Koran selbst, wie das die mancherlei Anführungen aus demselben, die auch an sich den meisten Lesern nicht unerwünscht sein werden, ersichtlich machen. Dagegen ruht die Schilderung, die sie von den thatsächlichen Zuständen der muslimischen Welt entwirft, fast ganz und ausschließlich auf persönlichen Anschauungen und Erfahrungen, zu denen mir ein fast achtjähriger Aufenthalt in den Ländern des Orients die ausgiebigste Gelegenheit geboten hat. Eine Charakteristik des Islam und seiner Völker, wie sie hier in gedrängter und übersichtlicher Form versucht ist, wird vielleicht manchen Wünschen begegnen; denn gewiß giebt es Viele, denen daran gelegen ist, sowohl über Wesen und Eeschichte dieser Religion als über die Zustände der von ihr beherrschten Länder und Völker sich genauer zu unterrichten. Sie dürfte daher, ganz abgesehen von Zeitumständen und Zeitfragen, allein um des Gegenstandes selbst willen, einen ihr mit Interesse entgegenkommenden Leserkreis finden. Jedenfalls ist es vorwiegend dieser allgemeinere Gesichtspunkt gewesen, welcher mich zu ihrer Ausarbeitung bestimmt und bei derselben ge= leitet hat. Durch die gegenwärtige Weltlage aber gewinnt sie noch ein anderes als bloß theoretisches oder historisches Interesse. Wie schon so oft in früheren Zeiten, so hat neuerdings in erhöhtem Maße der Orient und die sogenannte orientalische Frage die Blicke von ganz Europa auf sich gelenkt; ja es ist kein Zweifel, daß dies auch in Zukunft wieder und wieder geschehen wird. Denn wenn auch der blutige orientalische Krieg, dessen Zeugen wir so eben gewesen sind, sein Ende erreicht hat, und der Friedensvertrag zwischen Rußland und der Türkei wahrscheinlich für die Länder des Oftens in mancher Beziehung eine neue Ordnung der Dinge zur Folge haben wird, so ist doch damit die orientalische Frage noch keineswegs definitiv gelöst. Auch ist dieselbe durchaus nicht eine bloß politische; es handelt sich dabei noch um etwas Anderes als um diplomatische Actionen, kriegerische Ereignisse oder staatliche Neugestaltungen. Sie umfaßt vielmehr das Ganze der geistigen und materiellen Zustände des Morgenlandes, und es handelt sich daher im letzten Grunde gerade um diejenigen Dinge, welche dem Gebiete des cultur- und socialen, des religiösen und sittlichen Lebens angehören. Wer für diese Seite der Sache Blick und Verständniß hat, wird sich unmöglich damit begnügen können, die Angelegenheiten im Orient etwa nur nach ihrem äußeren Gange zu verfolgen, sondern wird sie auch nach ihren inneren Gründen und Zusammenhängen zu erkennen suchen. Das Erstere würde nur zu einem Hinnehmen und Registriren der Thatsachen führen, welche die jedesmalige Gegenwart darbietet, das Lettere aber ist gleichbedeutend mit dem Bestreben, sich darüber klar zu werden, warum die Zustände der orientalischmuslimischen Welt sich so gestaltet haben, wie sie thatsächlich sind, wo ihre Wurzeln liegen, welche weitere Entwicklung ihnen in Aussicht steht, und zugleich, auf welche Weise es zu den schweren, ja, unausgleichbaren Conflikten zwischen muslimischer und christlicher Welt kommen konnte, welche die jüngste Gegenwart uns vor Augen gestellt hat und auch die Zukunft noch erwarten läßt. Hoffentlich wird die vorliegende Schrift dazu beitragen, diese inneren Gründe und Zusammenhänge erkennen zu lassen, und wird somit auch ein tieferes Verständniß der sogenannten orientalischen Frage an ihrem Theile vermitteln helfen. Schkeudig bei Halle a/S., im April 1878. M. Lüttke. Inhaltsangabe. Seite Vorwort. Einleitende Bemerkungen: Stellung des Islam in der Religions- und I. Zur Geschichte des Islam Die religiösen Verhältnisse Arabiens vor Mohammed; uralte monothei- - Mohammed der Prophet. Sein Leben; Jugend, Handels- Glaubenslehre. Anknüpfung an die abrahamisch-monotheistische Ueber= III 1 31 |