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der

deutschen Nationalliteratur

oder

biographisch-kritisches

LEXICON

der deutschen

Dichter und Profaisten

seit den frühesten Zeitenz

nebst

Proben aus ihren Werken.

Bearbeitet und herausgegeben

bon

Dr. 0. L. B. Wolff.

Professor an der Universität zu Zena.

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ward im October 1758 zu Braunschweig geboren. Sein Vater, ein geschickter Maler, ließ ihn die dasigen gelehrten Unterrichtsanstalten besuchen und ihn dann nach Helmstädt auf die Universität abgehen, um dort Theologie zu studiren. Nach vollendeten Studien kam er zu dem preußischen General von Thadden nach Halle und wurde später 1789 auf dessen Empfehlung bei dem von Thaddenschen Regimente als Feldprediger angestellt, in welcher Stellung er die Feldzüge dieses Regimentes an den Rhein und in die Champagne mitmachte. Nach dem baseler Frieden legte er aber sein Amt 1801 nieder und lebte als Privatmann auf seinem Garten bei Halle. Die dasige philosophische Facultät beehrte ihn mit dem Doctordiplom und der König von Preußen zeichnete ihn durch Ertheilung eines Canonicates aus. Er starb daselbst am 20. April 1831.

"

Seine theils unter den Pseudonymen Miltenberg" oder,,Gust. Freier“ erschienenen Schriften sind:

1) Scenen. Leipzig, 1788 und 1789, 2 Thle. Auch u. d. T.: Befreiung Roms in Dialogen.

2) Die Gewalt der Liebe. Berlin 1791-94, 4 Thle. 8.; 2. Aufl. Ebendas. 1797.

3) Der Naturmensch. Halle 1792; 3. Aufl. 1801. 4) Der Sonderling. Ebend. 1793, 3 Bde.; 3. Aufl. 1801. 5) Die Tochter der Natur. Familiengemålde. Halle 1793, 8.; neue Aufl. Ebend. 1806, 8.

6) Clara du Plessis und Clairant. Berlin 1794; 3. verb. Aufl. Ebend. 1801, 8., mit Kpf. Enepel. d. deutsch. Nat. - Lit. V.

7) Moralische Erzählungen. Berlin 1794-1801, 6 Bde. in 8., mit Titelkupf. und Vign.

8) Antonie. Trauerspiel. Halle 1795, 8.

9) Kleine Erzählungen und Aufsäge. Ebendas. 1795, 8.

10) Quinctius Heymeran von Flamming. Berlin 1795-96, 4 Bde. 8.; neue Aufl. 1798, 4 Bde. 8., mit Kupf.

11) Die Verirrungen des menschlichen Herzens. Halle 1796, 2 Bde., 8.

12) Sagen aus dem Alterthume. Berlin 1797; neue Aufl. Ebendas. 1801–1803, 2 Bde., 8., mit Kupf. 13) Familiengeschichten. Berlin 1797 1805, 12 Bde., 8., mit Kupf.

14) Die Stärke des Vorurtheils. Züllichau 1798, 8. 15) Kleine Romane und moralische Erzählungen. Berlin 1799; 3. Aufl. Ebendas. 1804, 9 Thle., 16., mit Kupf.

16) Theodor, oder Kultur und Humanitåt. Berlin 1800; neue Aufl. Ebendas. 1802, 2 Thle., 8., mit Kupf.

17) Engelmanns Tagebuch. Berlin 1801, mit Kupf. 18) Hermann Lange. 3. Aufl. Berlin 1801, 2 Bde., 8. 19) Måhrchen und Erzählungen. Berlin 1801, 2 Thle., 16., mit Kupf.

20) Fedor und Marie. Ebendas. 1802; neue verb. Aufl. Ebendas. 1805, 8., mit Kupf.

21) Henriette Bellmann. Berlin 1802, 2 Thle., 8., mit Kupf.

22) Rudolph und Julie. Halle 1802, 2Bde., 8., m. Kupf. 23) Leben eines armen Landpredigers. Neue Aufl. 1802, 2 Thle., 8., mit Kupf.

24) Die Familie Halden. Berlin 1803, 2 Bde., 8. 1

25) Der Baron von Bergedorf. Berlin 1803. 26) Eduard und Margarethe. Berlin 1803, 2 Thle. 27) Makaria, Atalante und Kaffandra. 3 Er zählungen. Züllichau 1803, 8. (mit Fr. Kind). 28) So geht es in der Welt. Berlin 1803-1804, 3 Bde., 8.

29) St. Julien. Halle 1803.

30) Gittenspiegel für das weibliche Geschlecht. Görlig 1804-11, 6 Bde., 8., mit Kupf. 31) Vermischte kleinere Erzählungen. Berlin 1804, 2 Thle.

32) Barneck und Saldorf. Berlin 1804Thle., mit Kupf.

1805, 2

33) Erzählungen aus dem häuslichen Leben. Ber

lin 1805, 2 Thle., mit Kupf.

34) Das Haus Bårburg. Berlin 1805, 8. 35) Dramatische Werke. Halle 1805; neue Aufl. Ebend. 1823, 8., mit 1 Kupf. und 1 Vign.

36) Familienpapiere. Berlin 1806, 2 Thle., 8. 37) Gemäldesammlung. Ebendas. 1806, 2 Thle., 8. 38) Die Prüfung der Treue. Schauspiel. Görlig 1806, 8.

39) Der Familien ehrgeiz. Halle 1807. 40) Arkadien. Halle 1807, 3 Bde., mit 3 Kupf. 41) Gemälde des menschlichen Herzens. Halle 1807 1810, 15 Bde., 8., mit Kupf.

42) Die beiden Bräute. Berlin 1808, 3 Thle., 8. 43) Aline von Riefenstein. Halle 1808, 3 Bde., mit 1 Kupf.

44) Eduard, oder der Maskenball. Halle 1809, 3 Rde. 45) Das Testament. Halle 1809, 3 Thle., 8., mit Kupf. 46) Raphael. Halle 1809, 8.

47) Emma. Berlin 1809, 2 Thle., 8.

48) Wenzel Falk und seine Familie. Ebendas. 1810, 3 Thle., 8.

49) Der Hausvater. Halle 1810, 3 Thle., 8., mit Kupf. 50) Amalie Horst. Ebendas. 1810, 2 Bde., 8. 51) Kleine Romane und moralische Erzählung gen. 10.-12. Theil, Berlin 1810, 3 Thle., 16. Auch unter dem Tit.: Gesammelte kleine Romane" zc. " 52) Die Gefahren der großen Welt, oder Bertha von Waldeck. Halle 1810, 2 Bde.

53) Natur und Kunst. Halle 1811. 54) Tinchen, oder die Männerprobe. Halle 1811, 2 Bde. 55) Das Bekenntniß am Grabe. Halle 1811, 3 Bde., 8.

56) Schilderungen aus dem menschlichen Leben in Erzählungen. Halle 1812-19, 10 Thle., 8. 57) Bürgerfinn und Familienliebe, oder Tobias Hoppe. Ebendas. 1812, 3 Bde., 8. 58) Die Moralsysteme, oder Ludwig von Eisach. 1812, 2 Bde.

Halle Halle Ebendas.

59) Walther, oder das Kind vom Schlachtfelde. 1813, 3 Thle., 8.

60) Eugenie, der Sieg über die Liebe. 1814, 3 Thle., 8.

Ebendas.

61) Der Kampf mit den Verhältnissen. 1815, 3 Thle., 8.

62) Ida von Kyburg. Berlin 1816, 8. 63) Die Pfarre an der See. Halle 1816, 3 Thle., 8. 64) Isidore, oder die Waldhütte. Halle 1817, 2 Bde. 65) Das heimliche Gericht des Schicksals. Halle 1817, 3 Thle., 8.

66) Agathe, oder das Grabgewölbe. Leipzig 1817, 3 Bde. 8., mit Kupf.

67) Reinhold. Halle 1818, 3 Thle., 8.

68) Die beiden Freunde. Halle 1819, 2 Bde. 69) Rudolph von Werdenberg. 3. Aufl. Berlin 1819, 8., mit Kupf.

70) Die Geschwister, oder die Reue. Halle 1819, 2 Thle., 8.

71) Die Wege des Schicksals. Halle 1820, 2 Thle., 8., mit Kupf. 72) Die Stiefgeschwister. Ebendas. 1822, 2 Thle., 8.

Von den vorstehenden mit den Sammelwerken zugleich auf geführten Einzelschriften find enthalten in Nro. 15: die Num mern 12, 18, 19, 22, 24, 29 und 32; in Nro. 28: die Nrn. 25, 26, in Nro. 30: die Nrn. 31, 33, 53; in Nro. 35: die Nrn. 5, 38; in Nro. 40: die Nrn. 3, 4, 23, 40, 43, 44; und in Nro. 56: die Nrn. 52, 54, 58, 64, 68. Außerdem finden sich einzelne Arbeiten von ihm, wie die Rache" und "Suschen" in den Taschenbüchern von 1799 und von 1803. Auch verfaßte er: Agamemnon und Aeschylus' Kocphoren." Halle 1821 flg., 2 Bde.

Es ist jest Mode geworden bei der Menge, ebenso vornehm und verächtlich auf Lafontaine's Romane herabzusehen, als sie früher begierig danach griff, und dieselben mit Eifer verschlang. Das Richtige liegt, wie immer, in der Mitte; die Zeit, in welcher jene sentimentalen Familiengemålde ein Bedürfniß der Lesewelt waren, ist allerdings ganz vorüber, aber das Gute, das L's Leistungen theils selbst enthielten, theils zu befördern strebten, verdient stets ehrende Anerkennung, wenn ihr Verfasser sich auch in den Mitteln vergriff, und zu Uebertreibungen, Unwahrscheinlichkeiten oder falschen Effecten seine Zuflucht nahm. Kenntniß des Herzens, Phantasie, obgleich nur in beschränktem Kreise wirkend, und ein leichtes angenehmes Talent der Darstellung besißt er jedenfalls, lauter Eigenschaften, welche ihn in seiner Zeit befähigten, sich ein größeres Publikum zu gewinnen und zu erhalten, zumal er die vorherrschende allgemeine Geschmacksrichtung in Deutschland meisterhaft zu treffen, und von ihr begünstigt, indem er sie begünstigte, sich Ruf und Beifall auf der einmal von ihm betretenen Bahn zu erwerben wußte. Von höherem Standpunkte aus betrachtet, erheben sich seine sämmtlichen Lei= stungen nicht über eine gefällige Mittelmäßigkeit, da ihnen alle tiefere, auf dem wirklichen Leben und der geistigen Auffassung desselben ruhende Begründung durchaus abgeht.

Die Wirkungen der selbstsüchtigen Grundfåße *).

Rouelle d'Agassau, ein sehr reicher junger Edelmann, war durch den Tod seiner Eltern sehr früh unabhängig gewors den. Seine Erziehung fiel in die Hände eines elenden, verächt lichen Menschen, der die Politur der Sitten und Weltklugheit für die einzigen Tugenden der Großen und Reichen hielt. Dies ser führte ihn zu Paris, wo er mit seinem Zögling lebte, früh in die Welt. Der Anblick der Verbrechen aller Art, der Leichtfinn der Großen gegen die Sittlichkeit, die Schmeicheleien, die man dem liebenswürdigen und kultivirten Knaben machte, verdarben das Herz des jungen Rouelle. Seine Bekanntschaften, die er als Jüngling machte, vollendeten sein Verderben. Er nahm sehr früh das System der Pariser Welt an:,,nur für sich und sein Bergnügen zu leben," und sein feiner Kopf suchte sich dies als das einzig wahre System des menschlichen Lebens zu erweisen. Nouelle war ein Philosoph auf seine Weise. Das Vergnügen ist meine Bestimmung, sagte er; Mäßigkeit verlängert den Genuß, Klugheit sichert ihn. Das war sein System, und er lebte darnach. Die Moral schien ihm eine Grille, die für den Póbel und für den Dummkopf gemacht war. Der Schein der Tugend war ihm Alles, und man hielt ihn zu Pa= ris für einen der tugendhaftesten Jünglinge.

Auf einer Reise nach Poitou, wo feine Güter lagen, mußte er in einem Dorfe bleiben, weil die Ergießung des Flusses die Brücke weggerissen hatte. Er ging, weil das Wirthshaus sehr elend war, auf das wohlgebaute Haus eines Pächters im Dorfe, um dort die Nacht zuzubringen. Der Pächter, ein als ter, ehrwürdiger Mann, nahm ihn mit der gutherzigsten Freundlichkeit auf, und räumte ihm das schönste Zimmer des Hauses ein. Rouelle kam am Abend herab, um mit dem Påchter zu effen. Er erstaunte, da er neben dem Vater das reizendste Mädchen, das er je gesehen hatte, stehen sahe. Ihr geistvoller Blick, ihr Gespräch am Tische, überzeugten ihn sehr bald, daß das Mädchen keine gewöhnliche Erziehung gehabt hatte. Water hatte lange in der Welt gelebt, und war, der Unruhe der Welt müde, mit dem Reste seines Vermögens hieher geflohen, um hier der Ruhe und der Erziehung seiner Tochter zu leben.

Ihr

Der Anblick des Mädchens hatte Rouellens Sinnlichkeit emport. Nicht gewohnt, bei Wünschen stehen zu bleiben, suchte er einen Vorwand, ein Paar Tage in dem Hause zu bleiben, den ihm die Gastfreundschaft seines ehrwürdigen Wirthes bald gab. Er gebrauchte die Zeit, sich mit Susannens Schwächen bekannt zu machen, und er mußte sich gestehen, daß seine gewöhnlichen Nese zu schwach waren, das Herz des Mädchens fest zu halten. Er mußte abreisen, ohne einen Schritt weiter zu sein, als bei dem ersten Augenblicke, da er sie sah. Das

*) Aus X. Eafontaine's,,Neue moralische Erzählungen." Berlin 1799. (5. Bändchen).

Mädchen redete von Tugend, und redete mit so vielem Ernst davon, daß er gezwungen war, diese Tugend für mehr als eine Grimasse zu halten. Er hütete sich, seine Grundsäge zu zeigen. Er tam auf seiner Rückreise wieder. Seine Bescheidenheit ges wann ihm das Vertrauen des Alten, und seine Liebenswürdigkeit Susannens Wohlwollen. Er fand bei dem Mädchen so viele Festigkeit, daß er jeden Schritt vorwärts mit der feinsten Be hursamkeit machte. Alle seine Pariser Künste reichten bei diesem Herzen nicht aus. Er hielt alle Weiber für eitel und sinnlich, und hier sah er ein Herz, das weder Eitelkeit noch Wollust fannte. Eine Ahnung, daß solche Grundsäge möglich wären, wie er sie hatte, brachte das Mädchen zum Schaudern. Er gebrauchte alle Mittel, des Mädchens Sinnlichkeit, ihre Eitelkeit in Bewegung zu sehen. Bergebens. Die schönsten Stunden gingen verloren, die so mühsam angelegten Scenen des Allein seins, des Vertrauens, brachten ihn nicht weiter, und mit der Mühe, die er sich_gab, war seine Neigung gegen das Mädchen gewachsen. Er fühlte sich unzertrennlich fest an sie gebannt; ja, er fühlte Achtung für ihre Tugend. „Noch zwei solche Men: schen," rief er sogar, von sich selbst überrascht,,,und mein Sy stem ist dahin!" Das geschah nun nicht; allein seine Sinne lichkeit wurde in der That etwas Besseres, sie wurde Liebe. Er fühlte, er würde nicht unglücklich, in dem Glauben an Susan nens Tugend, mit ihr, sogar hier auf dem Lande leben, und da überraschte ihn der Gedanke, den er für unmöglich gehalten hatte, der Gedanke an eine Heirath mit dem Mädchen.

Pfui! rief er sich selbst zu bei dem Gedanken. Allein er kam desto öfter wieder, jemehr die Hoffnung sank, Susannen zu verführen. Er fühlte, daß er die Liebe des Mädchens hatte, und er verzweifelte darüber fast, daß ihre Liebe kein Mittel war, ibre Phantasie zu bestricken und zu entflammen. Er that alles Mögliche, zu seinem Zwecke zu gelangen, und ein Paarmal schon hatte er Susannens Mißtrauen erregt; und das gab zu so ernsten, kraftvollen Scenen Anlaß, in denen des Mädchens Chaz rakter, ihr Abscheu gegen die Sinnlichkeit sich so mächtig, so wahr zeigte, daß er nicht mehr wußte, was er von den Mens schen, unter denen eine Susanne lebte, denken sollte. Sein Herz fing an, sich dem Systeme, das sein Kopf noch immer fest hielt, zu widersehen. Seine Liebe, diese allmächtige Leidenschaft, riß ihn unaufhaltsam fort. Es war kein anderes Mittel glück lich zu werden, als Susannen seine Hand zu bieten. Er wußte selbst nicht, wie ihm eigentlich geschah. Er fühlte jezt sogar einen geheimen Widerwillen, auf Kosten von Susan nens Ruhe selbst_glücklich zu werden. Da war doch ein Mensch, dessen Glück er achtete. Er bot in einer Empfindung, deren Ruhe er noch nie empfunden hatte, Susannen seine Hand, und da Susanne mit den Thrånen des Entzückens, mit hoch klopfender Brust in seine Arme sank, da fühlte er den Lohn der bessern Menschlichkeit, er fühlte Achtung für sich selbst, und er sagte, wie er allein war:,,nein, bei Gott! die Tugend ist doch nicht ganz Grille!“

Susanne wurde Rouellens Weib. Auf ihre Bitten ging er mit ihr auf seine Güter. Das Glück der Ruhe, des Vertrauens, der zärtlichen Liebe, dessen er nun genoß, der Anblick der Tugenden seiner Frau, ihre Keuschheit, ihre Wohlthä tigkeit, ihre Güte, ihre Demuth, rissen mächtig an seinem Systeme. Mächtige Zweifel dagegen stiegen in seiner Seele empor. Er wurde Vater eines Sohnes. Er nahm mit zitternder Freude das Kind an seine Brust ́und rief: „ncin, bei Gott! bei dem Gefühle meines Wesens, die Tugend ist keine Grille!". Su fanne gab ihm einen zweiten Sohn. Seine Freude war gemäßigter. Er war einige Monate in Paris gewesen. Eine reizende Operntänzerin hatte seine Sinnlichkeit in Bewegung gebracht. Er kehrte nur mit halbem Herzen auf seine Güter zu rúc. Er reiste wieder nach Paris. Mit einer Unruhe, die er nie sonst gefühlt hatte, suchte er die Bekanntschaft der schönen Tángerin. Ohne es zu wollen, wurde er seiner Frau untreu, und er suchte sein System wieder hervor, weil es seine Unruhe linderte. Er blieb långer in Paris. Er liebte seine Frau nicht mehr, allein er fühlte dennoch eine unbegrenzte Achtung gegen sie; und diese Achtung wurde ihm eine bittere Last, denn sie machte ihm in dem Genusse seiner Freuden geheime und beun ruhigende Vorwürfe. Pah! rief er endlich die Menschen sind fich alle gleich, auch sie, auch meine Frau! Sie wollte Frau von Rouelle werden, und darum mußte sie die Rolle spielen, die sie spielte. Ihr Wunsch war Rang, Titel, Reichthum; meiner ist Vergnügen! Sein System kam in die alten Rechte wieder, und er zwang sich, die Achtung gegen seine Frau fallen zu lassen, und blieb in Paris. Seine Frau schrieb ihm; er antwortete mit Kälte. Sie kam nach Paris, und er sagte ihr kalt: ich habe nichts dagegen, daß Sie hier leben wollen. Sie sah seine Ausschweifungen. Sie bot alle ihre Kräfte auf, das Glück der ersten Jahre wieder herzustellen. Vergebens. Die Achtung, die er ihren Tugenden nicht versagen konnte, machte ihn noch kälter und bitterer gegen sie. Um sie dafür zu be:

strafen, zeigte er ihr Grundsäge, die er nicht einmal so böse hatte. Susanne war unglücklich, und das war ihr größtes Leiden, daß ihr Mann es ihr täglich merken ließ, wie sehr er bes reue, daß er ihr seine Hand gegeben habe; wie sehr sie seinem Vergnügen im Wege war. Einen Abend kam er zu Hause. Man gab ihm einen Brief von seiner Frau. Er las ihn. Ich verlasse Sie, mein Herr, schrieb sie ihm, und auf ewig. Sie werden in der Beilage alle die Beweise finden, die sie gebrau chen können, um unsere Ehe, die Sie so unglücklich machte, auch gefeßlich zu trennen. Meinen ältesten Sohn habe ich mitgenommen, den jüngsten habe ich Ihnen lassen müssen. Sollte er von seiner Krankheit wieder hergestellt werden; so beschwöre ich Sie bei Ihrem Waterherzen, den Knaben vor Ihren Grundsägen zu bewahren. Es giebt eine Tugend, mein Herr, und einen Råcher aller Verbrechen. Eine Summe Geldes, die ich mitgenommen habe und die Sie zu klein finden werden, weil vielleicht nicht einmal Eine Ihrer Freuden damit erkauft werden könnte, soll dazu dienen, Ihren Sohn in die Lage zu sehen, worin sein Großvater, und ich Unglückliche, so glücklich waren. Dieses Kind soll nie erfahren, zu welchen Verbrechen es seine Geburt und Ihr Vermögen berechtigten. Ich habe die Gefahren des Ranges und des Reichthums kennen gelernt; er soll sie nie kennen lernen. D, mein Herr! Sie spotten der Tugend; aber, könnten Sie mich hier an dem Bette meines jungsten Sohnes auf den Knieen liegen sehen, hören, wie ich Sie beschwöre, des Herzens dieses Kindes zu schonen, o Sie würden wenigstens des Mutterherzens und meiner Angst nicht spotten! Leben Sie wohl!"

Rouelle las. Sein Auge verfinsterte sich doch. Sein Wunsch war erfüllt, aber zugleich war seine Brust voll Unruhe. Er liebte seinen Sohn, er schäßte Susannen doch so sehr, daß sie keine Noth leiden sollte. Er leitete seine Unruhe von seinem Edelmuthe ab, und sie war nichts, als der Vorwurf seis nes Gewissens. Er lachte, wie er hörte, daß zugleich mit seiner Frau ein junger Mann Paris verlassen habe, ein Mann, der Susannen geschägt hatte. Er fand eine Beruhigung darin, seine Frau eines Verbrechens bezüchtigen zu können. Da haben wir's! rief er: die Heuchlerin! Er forschte nach dem Aufent halte des vermeinten Entführers seiner Frau, und diese Nachforschungen bewiesen ihm, daß er seiner Frau Unrecht gethan hatte. Nun forschte er dem Aufenthalte seiner Frau nach; allein vergebens. Sie blieb verschwunden, und nach einem Jahre von ewigen Zerstreuungen war Susanne und sein Sohn vergessen. Jest nun, frei von der lästigen Kette des Ehestandes, machte er einen festen Plan seines Lebens. Er machte sein Haus zu dem Aufenthalte aller Freuden der groben und der feinern Sinnlichkeit. Er fühlte die Nothwendigkeit des Reichthums, um_sich sein Glück zu sichern, und die größte Ordnung herrschte in seinem Hause. Er stürzte sich nicht in den verzehrenden Strudel der finnlosesten Ausschweifungen. Er genoß mit Mås ßigung, sogar mit Anstand. Er verhüllte den Plan seines Lebens, wie die Ausführung desselben. Er wurde das Muster der jungen Männer, die Gesellschaften liebten ihn. Er war immer heiter, immer fröhlich. Er war im allerhöchsten Grade diskret. Kein Wort, keine Anspielung, kein zweideutiges Lächeln verrieth irgend einen Triumph, den er erhalten hatte. Er war der feinste Verführer der Weiber und Mädchen, deren Schönheit seine Sinnlichkeit reizte; aber nie durften diese fürchten, daß ihr Name dabei leiden konnte, und Rouelle hatte den Triumph, daß man ihn überall einen edeln, tugendhaften Mann hieß, ob er gleich nie einen Wunsch, nie eine Begierde fühlte, die er nicht befriedigte, es mochte kosten, was es wollte.

Er war höflich, hülfreich, großmüthig, er unterstüßte das Verdienst, er nahm die Miene an, als ob er nur für andere Menschen lebte; und, er lebte nur allein für sich und seinen Genuß. Diese Kunst, diese Feinheit, mit der er lebte, beschäftigte zugleich seinen Verstand. Er beging zweideutige Handlungen, um Proben mit sich und den Menschen anzustellen; er befestigte sich in seinem Systeme der Selbstsucht, des höchsten Egoismus immer mehr. Sein Geschmack bewahrte ihn schon vor groben Niederträchtigkeiten, seine listige Feinheit ersparte ihm die Vers brechen, die ein grober, roher Wollüstling an seiner Stelle bes gangen haben würde. um Verbrechen zu begehen, sagte er, muß man ein niederträchtiger, ehrloser Mensch sein, und um tus gendhaft zu sein, ohne seinen Vortheil im Spiel zu sehen, muß man ein grillenfángerischer Dummkopf sein! Ich bin Beides nicht. Gut, ich lebe für mein Vergnügen; das ist nur das, was ein gescheuter Mensch wollen kann. Nebenher befördere ich auch das Glück anderer Geschöpfe, freilich ohne meine Absicht. Will man das Tugend nennen; gut! es ist nichts, als eine kluge Einrichtung der Natur, die den Menschen in den Grenzen der Mäßigung gegen Andere hält, daß er das Glück und das Wohlsein Anderer beiläufig mit befördert, wenn er für sein eigenes Wohlsein arbeitet. Das waren seine Grundsdße.

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